2017
Die Erfolge der legendären „Silberpfeile” von Mercedes-Benz der Vor- und Nachkriegszeit tragen die Handschrift eines der bedeutendsten Ingenieure der Automobilgeschichte. Doch Rudolf Uhlenhauts Name wird vor allem mit dem 300 SL und seinen Flügeltüren verbunden bleiben.
Man musste schon über viel technische Vorstellungskraft verfügen, um aus der barock geformten Limousine wie dem Mercedes-Benz Typ 300, mit der Bundeskanzler Konrad Adenauer vorfuhr, puristische Rennwagen heraus zu schälen, die in den 1950er-Jahren reihenweise Siege sammelten, und schließlich mit dem 300 SL und seinen Flügeltüren eine Ikone zu schaffen, die bis heute zu den Traumwagen der Geschichte zählt.
Rudolf Uhlenhaut besaß genau diese Eigenschaft. Lange bevor Designer zu den Stars der Autoszene avancierten, waren es Konstrukteure wie er, die den Nimbus einer Marke auf der Rennstrecke und auf der Straße entscheidend prägten. Das Spektrum seiner Leistungen reichte vom bahnbrechenden Rennwagen W125 der 1930er-Jahre, der auch als silbernes Schuco-Modellauto zu Ehren kam, bis hin zum Sportwagen C111, jenem wagemutigen Keil-Konzept der späten 1960er-Jahre.
Eine Karriere wie jene des 1906 in London geborenen Rudolf Uhlenhaut wäre heute wohl undenkbar. Denn schon mit knapp 30 Jahren stieg der Sohn einer Engländerin und eines deutschen Bankers zum Leiter der Rennwagenabteilung von Mercedes-Benz auf. Der junge Maschinenbauer war 1936 allerdings eher so etwas wie die letzte Rettung, denn der erste „Silberpfeil”, der W25, zeigte gegenüber der Konkurrenz – vor allem gegenüber dem Erzrivalen Auto Union – empfindliche technische Schwächen. Scheinbar unbeirrt von der Aufregung nahm sich Uhlenhaut konsequent Dämpfung, Federung sowie die Achskonstruktionen vor und schon ein Jahr später holte der neue W125 mit knapp 600 PS und Rudolf Caracciola am Steuer den Europatitel. Ein Stern, der in Motorsportkreisen und bei Entwicklern aufhorchen ließ, war aufgegangen.
Diese konstruktive Brillanz und die Geschwindigkeit, mit der Uhlenhaut seine Lösungen umsetzte, sollten ihm auch nach dem Zweiten Weltkrieg erhalten bleiben. Der Schöpfer der schnellsten Silberpfeile war bis zu seinem Wiedereintritt ins Stuttgarter Unternehmen 1948 nicht untätig geblieben. Unter anderem entwickelte er einen so leichten wie stabilen Gitterrohrrahmen – vermutlich noch nicht ahnend, dass er damit das Gerüst einer späteren Legende aufbauen würde. Zu Beginn der 1950er-Jahre hatte Mercedes-Benz zwar wieder standesgemäße Limousinen und Cabriolets für Kunden des deutschen Wirtschaftswunders im Programm, aber der Lockruf einstiger Motorsporterfolge war einfach zu stark.
Manchmal gibt es tatsächlich Zufälle im Leben, um die jeder Drehbuchautor einen weiten Bogen machen würde – denn sie sind einfach zu schön, um wahr zu klingen. Es war der 4. Juli 1954 und während die deutsche Fußballnationalmannschaft in Bern gerade Weltmeister wurde, spurteten ein paar Hundert Kilometer nördlich auf dem Circuit de Reims-Gueux die Herren Juan Manuel Fangio und Karl Kling sensationell zu einem Doppelsieg in der neuen Formel 1. Die „Silberpfeile” von Mercedes-Benz waren zurück. Doch nicht nur die W 196-Monoposto sorgten für Furore. Wenige Monate vorher war bei der Motor Show in New York ein Fahrzeug enthüllt worden, das Geschichte schreiben sollte. Dieses Coupé 300 SL, das aussah, als wäre es vom Wind in Form gestreichelt worden, erlebte dank der Anregung des US-Importeurs Max Hoffmann zwar sein Debüt als Sportwagen für die Straße. Aber seine Gene stammten aus dem Motorsport – und sein Vater war natürlich Rudolf Uhlenhaut.
Weil ein Engagement der neuen Formel 1 noch zu teuer war, entschied sich der Mercedes-Vorstand 1952 erst einmal für die Teilnahme an Sportwagenrennen. Aus dem Regal holte man den Typ 300-Reihensechszylinder mit drei Litern Hubraum und gab ihm einen athletischeren Zuschnitt sowie ein Vierganggetriebe, um den Antriebsstrang zu komplettieren. Auch Uhlenhauts leichter Rohrrahmen feierte Premiere und sorgte damit für weniger Gewicht. So entstand ein niedriger, strömungsgünstiger Rennwagen, dessen Gürtellinie, um höhere Stabilität zu gewährleisten, aber sehr hoch war.
Konstrukteure sind zwar kreativ, neigen aber generell nicht zu poetischen Bildern. Doch mit den in England als „Gullwings” beschriebenen Flügeltüren schuf das Uhlenhaut-Team ein so spektakuläres wie oft kopiertes Markenzeichen. Der 300 SL sprang gleich im ersten Jahr bei der Mille Miglia aufs Podium, feierte in Le Mans mit Hermann Lang und Fritz Rieß einen spektakulären Doppelsieg und eroberte auch noch die Carrera Panamericana in Mexiko. War der Rennwagen noch mit durstigen Weber 40-Vergasern unterwegs, entschied sich Uhlenhaut als Versuchsleiter bei der Straßenversion des 300 SL für die damals innovative Benzindirekteinspritzung.
Als passionierter Motorradfahrer und Skifahrer verstand „Mr. Silberpfeil“ natürlich auch sehr viel von Querbeschleunigung. Und ähnlich wie Colin Chapman bei Lotus war Uhlenhaut als Spezialist im Versuch zugleich ein hervorragender Fahrer, der bei Erprobungen durchaus den Respekt seiner Rennfahrer wie Stirling Moss oder Fangio genoss. Er soll 1955 bei Tests am Nürburgring sogar drei Sekunden schneller als der große Argentinier gefahren sein, nachdem dieser zuvor beim Mittagessen auf Verbesserungen gepocht hatte. Damit war dieses Thema buchstäblich vom Tisch.
Uhlenhaut besaß nie ein eigenes Auto – was bei der Flotte, die ihm über Jahrzehnte zur Verfügung stand, kaum nötig erschien. Dennoch ist ein berühmtes Coupé, von dem nur zwei Exemplare produziert wurden, nach ihm benannt worden: Die markante, geschlossene Version des offenen Rennwagens 300 SLR mit dem großen Stern im Kühlergrill war ursprünglich für die Rennsaison 1956 entwickelt worden. Doch nach der Motorsport-Tragödie in Le Mans 1955 zog sich Mercedes-Benz bekanntlich aus dem Motorsport zurück. So wie Leichtbau und Leistung schon sehr früh ein Thema des begnadeten Ingenieurs gewesen waren, beschäftigten ihn in den nächsten Jahren zunehmend Fragen der Qualität und Verarbeitung, die zu den neuen Kernwerten der Marke werden sollten. Das schöne und keilförmige Versuchsfahrzeug C 111, das Ende der 1960er-Jahre entstand und zunächst mit einem Wankelmotor ausgestattet war, muss dem großen Mann wie eine Erinnerung an die dynamischen Herausforderungen der Vergangenheit erschienen sein. Als Direktor der Entwicklungsabteilung für Personenwagen ging Uhlenhaut 1972 in Pension. Er starb 1989 – doch sein ingenieurstechnisches Erbe lebt bis heute fort.
Fotos: Daimler AG
Geschrieben von Maik Jürß
Erschienen am Donnerstag, den 07. Dezember 2017 um 00:05 Uhr | 3.590 Besuche
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