2010
Der Kaufmann Emil Jellinek (1853 bis 1918) gilt als Pionier des Automobilvertriebs. Er verkaufte sehr erfolgreich Mercedes-Fahrzeuge der Daimler-Motoren-Gesellschaft und prägte den Namen „Mercedes“.
Als 1886 das Automobil erfunden wird, ist Emil Jellinek ein junger Mann mit einem bereits mondänen Lebensstil. Er ist fasziniert von dem neuen Produkt und hat es seit dessen Erscheinen: Nach ersten Versuchen mit einem Dreirad von De Dion kauft er einen vierrädrigen Benz Viktoria, den es von 1893 an gibt. Doch recht zufrieden ist er mit den neuartigen Fahrzeugen noch nicht: Sie bleiben seiner Meinung nach unter ihren Möglichkeiten, entwickeln nicht ihr volles Potenzial. Unter anderem auch vom Benz spricht er als „Ungeheuer“ und vergleicht ihn mit einer kriechenden Spinne. Schließlich wird Jellinek 1896 über eine Zeitungsannonce auf die Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) aufmerksam. Er reist nach Cannstatt und bestellt zwei Wagen mit Riemenantrieb, „einen vierpferdigen und einen neunpferdigen“, die 40 km/h auf „glatter Straße“ schaffen sollen – für das auslaufende 19. Jahrhundert ist das unerhört schnell.
In Nizza, wo Emil Jellinek den größten Teil des Jahres verbringt und das zu dieser Zeit vor allem im Winter ein Treffpunkt der „Haute Volée“ Frankreichs und Europas ist, finden die pferdelosen Wagen großen Anklang. Von 1897 an wirbt Jellinek für die Daimler-Automobile in den höchsten Kreisen der Gesellschaft und ist als selbständiger Händler tätig. So kaufen die Rothschild-Familie und weitere bekannte Persönlichkeiten Wagen bei ihm. Bis zum Tode Gottlieb Daimlers im Jahr 1900 setzt Jellinek auf diese Weise immerhin 34 Autos ab. Das verschafft ihm Gewicht der DMG gegenüber, und er fordert von Daimler und dem Konstrukteur Wilhelm Maybach immer wieder technische Neuerungen. Hierbei kombiniert er seine Fähigkeit der Fahrzeugbeurteilung mit seinem feinen Gespür für den Markt. Insgesamt kann man ihn durchaus als Marketingstrategen bezeichnen.
Jellinek überzeugt schließlich Daimler und Maybach davon, dass die Zukunft des Automobils in der Geschwindigkeit und Eleganz liegt. „Als ich erschien, waren die Daimlerwagen solid, gebrauchsfähig und betriebssicher, aber bloß theoretische Wagen“, wird er zitiert. In der Geschwindigkeit sieht er allerdings nicht den Anreiz, unvorsichtig zu sein, sondern vielmehr den eigentlichen Sinn eines Motorfahrzeugs: „Wenn ich aus einem Automobil nicht mehr heraushole als aus einem Gespann, kann ich ebenso gut wieder mit Pferden fahren!“ Außerdem regt er an, dass der Erfinder des Automobils mit eigenen Wagen und unter eigenem Namen Rennen und Zuverlässigkeitsfahrten bestreiten soll, denn: „Rennen machen den Namen eines Werks und einer Marke.“
Jellinek wird nun selbst aktiv: Für eine Rennveranstaltung in Nizza im Jahr 1899 werden für ihn zwei Daimler „Phoenix“ angefertigt. Sie haben jeweils eine Leistung von 21 kW – für damalige Verhältnisse sehr viel, die Fahrzeuge gelten damit als Sport- oder Rennwagen. Zur Unterstützung schickt ihm die DMG den mit dem Typ Phoenixbestens vertrauten Werkmeister Wilhelm Bauer. Dieses Rennen gilt als Geburtsstunde der Marke Mercedes. Die verbreitete Variante der Namensfindung besagt, dass Jellinek sich unter dem Pseudonym „Monsieur Mercédès“ anmeldet – eine in der damaligen Zeit durchaus übliche Verschleierung der Rennteilnehmer. Mercédès“ ist der Name seiner Tochter und „klingt schön spanisch. Spanien hat einen Ehrenplatz unter den Grillen meines Vaters“, berichtet Guy Jellinek-Mercedes. „Er beherrscht die Sprache und spricht sie mit Vorliebe.
Allerdings reicht es für die Wagen aus dem Hause Daimler weder in der Geschwindigkeitsprüfung noch im Bergrennen für einen Sieg. Das spornt Jellinek an: Er mischt sich kräftig in die Modellpolitik der des Unternehmens ein und fordert von der DMG stärkere und schnellere Fahrzeuge. Zudem wünscht er ein neues Chassis: breiter, länger, tiefer, leichter – kurz: auch bei schnellerer Geschwindigkeit fahrsicherer als bisher. Denn: „Ich will nicht das heutige, auch nicht das morgige, ich will das Auto von übermorgen!“ So lautet die Maxime Emil Jellineks. „Meine Werkstatt ist die Straße, maßgebend ist mir nur sie.“
Ende März 1900 kommt es in der Rennwoche von Nizza zu einer Katastrophe. Beim Bergrennen Nizza – La Turbie verunglückt der Daimler-Werksfahrer Wilhelm Bauer tödlich in dem als „Mercédès II“ gemeldeten Wagen. Beifahrer Hermann Braun, der sich mit dem zweiten gemeldeten Daimler „Mercédès I“ bereits beim Rennen Nizza –Marseille überschlagen hatte, bleibt auch diesmal unverletzt. Die erste Reaktion aus Cannstatt ist, die überzogenen Motorleistungen für den Unfall verantwortlich zu machen und künftig allen Schnellfahrten fernzubleiben.
Emil Jellinek überzeugt jedoch Wilhelm Maybach – Gottlieb Daimler ist kurz zuvor Anfang März verstorben – dass der hohe Schwerpunkt des Wagens für das Unglück verantwortlich gewesen ist: „Weltberühmt machen Siege. Man kauft die siegreiche Marke und wird sie immer kaufen. Es wäre kommerzieller Selbstmord, den Rennen fernzubleiben“, argumentiert Jellinek. „Was wir brauchen, ist ein neues, völlig anders ausgelegtes Fahrzeug.“ Die DMG gibt dem Drängen Jellineks nach, der am 2. April 1900 den Auftrag gibt, einen neuartigen Wagen zu entwickeln: Wenigstens 26 kW Leistung, leichter Motor, niedrigerer Schwerpunkt – kurz: leicht, schön und schnell soll er sein. Auf den Vorschlag Jellineks hin soll die neue Baureihe den Namen „Daimler-Mercedes“ führen: Somit taucht im Jahr 1900 „Mercedes“ erstmals als eigenständiger Markenname auf, nicht als Bezeichnung einzelner Wagen oder Fahrer.
Die DMG steht allerdings vor dem Problem der Absatzfinanzierung: Das Unternehmen benötigt weiteres Kapital bei einem trotz des angenommenen Erfolges vergleichsweise hohem Risiko, ob die Wagen auch tatsächlich verkauft werden. Emil Jellinek schlägt bei der Bestellung der schönen schnellen Fahrzeuge vor, ein festgelegtes Kontingent zu Werksabgabepreisen zu übernehmen und den Verkaufsgewinn mit der DMG zu teilen. Das Unternehmen stimmt zu: Der Händler und der Hersteller treffen am 2. April 1900 eine Vereinbarung über den Vertrieb von Wagen und Motoren, „wonach der Verkauf der Motoren unter dem Namen Daimler-Mercedes durch Jellinek erfolgen sollte“, wie es in einer Festschrift aus dem Jahre 1915 heißt. Der Händler verpflichtet sich, eine komplette Serie von 36 Wagen zum Gesamtpreis von 550.000 Mark abzunehmen, und sorgt dafür, dass die Presse in Frankreich, Deutschland und Österreich über das neue Fahrzeug berichtet. Zudem wird er im Oktober 1900 in den Aufsichtsrat der DMG gewählt.
Die Vereinbarung sichert ihm zudem weitgehende Vertriebsrechte für leistungsstärkere Autos der DMG in allen wichtigen Märkten zu: Von April 1900 an ist Emil Jellinek somit der Generalvertreter für Österreich-Ungarn, Frankreich, Belgien und die USA – also „praktisch für die ganze Welt“, wie ein Chronist schreibt. Er selbst ist österreichisch-ungarischer Staatsbürger. In den Ländern, in denen er die alleinige Vertretung hat, werden die Wagen unter dem Namen „Mercedes“ verkauft, in allen übrigen hingegen zunächst als „neuer Daimler“. Bald schon wird aber in allen Ländern nur über „Mercedes-Wagen“ gesprochen.
Der erste neue Wagen vom Typ 35 PS wird am 22. Dezember 1900 an Jellinek geliefert. Dieser von Wilhelm Maybach entwickelte neue „Mercedes“ sorgt zu Beginn des Jahrhunderts für Furore: Es ist das erste moderne Automobil der Welt. Eine der zahlreichen technischen Innovationen ist beispielsweise der Bienenwaben-Kühler, der deutlich weniger Wasser zur Motorkühlung benötigt als bisher. Was die Namensänderung hin zu Mercedes betrifft, so wird Jellinek 1906 wie folgt zitiert: „Der gute, alte Name Daimler war für den Nichtdeutschen wenig mundgerecht. Ein Name ist mitunter alles. Er muss für jede Zunge leicht auszusprechen sein, muss ins Ohr gehen und im Gedächtnis haften bleiben.“
Jellinek versteht es auf jeden Fall sehr gut, für das neuartige Automobil Werbung zu machen. Schon am 4. Januar 1901, also nur ein paar Tage nach der Ankunft des ersten Mercedes in Nizza, veröffentlicht die „L’Automobile-Revue du Littoral“ einen Beitrag, in dem es heißt: „Neues zu sehen gibt es derzeit nicht in Paris, sondern in Nizza. Der erste in den Werkstätten von Cannstatt gebaute Mercedes-Wagen ist nämlich in Nizza angekommen und dank dem Entgegenkommen seines Besitzers, Herrn Jellinek, konnten ihn alle Fahrer begutachten. Wir halten mit unserer Meinung nicht zurück: Der Mercedes-Wagens ist sehr, sehr interessant. Dieses bemerkenswerte Fahrzeug wird bei den Rennen im Jahre 1901 ein gefürchteter Konkurrent sein.“
Auf der Rennwoche in Nizza Ende März 1901 zeigen die Wagen mit Namen Mercedes dann einem großen Publikum, was in ihnen steckt: Mit vier ersten und fünf zweiten Plätzen sind die Daimler-Wagen eine Klasse für sich – und zwar gleichermaßen bei der Distanzfahrt, dem Bergrennen wie auch dem Meilenrennen. Der französische Hersteller Panhard & Levassor, der im Vorjahr alle ersten Plätze eingenommen hatte, zieht noch vor dem Rennen seine Fahrzeuge zurück.
„Wir hatten auf ganzer Linie gesiegt: Der Mercedeswagen war lanciert. Mercedes war Trumpf“, hält Emil Jellinek fest. Paul Meyan, Generalsekretär des Automobilclubs von Frankreich, prägt den Satz: „Wir sind in die Ära Mercedes eingetreten.“ Denn bis dahin gelten die Deutschen Carl Benz und Gottlieb Daimler zwar als Erfinder des Automobils, die Franzosen jedoch als die besseren Autobauer. Oberste Kreise der Gesellschaft sind begeistert von dem neuen Fahrzeug: 1901 kaufen unter anderem die amerikanischen Milliardäre Rockefeller, Astor, Morgan und Taylor die leistungsstarken Mercedes-Wagen der DMG. Wilhelm Maybach, von dem Jellinek überzeugt ist, er könne „auf Kommando erfinden“, und der von den Franzosen als König der Konstrukteure gefeiert wird, entwickelt die neue Automobil-Bauweise weiter. Doch Maybach teilt die Meriten mit Jellinek: „Ich und Sie sind die Erfinder des Mercedes-Wagens“, schreibt er später in einem Brief.
So wie Motorleistung und Geschwindigkeiten zulegen, wachsen auch Produktion und Absatz. Von der verbesserten Baureihe des Mercedes-Simplex werden 1903 schon 232, im Jahr darauf 698 und 1905 sogar 863 Autos gefertigt. Dank der Erfolge auf den Rennstrecken ist die Produktion bis 1904 ausverkauft. 1904 erzielt Emil Jellinek mit 24 Bestellungen aus Belgien, 12 aus Holland und 150 aus England einen neuen Verkaufsrekord für Mercedes. Nach den Erfolgen der Mercedes-Wagen piesackt Jellinek die Unternehmensführung mit ständigen Verbesserungsvorschlägen und Reklamationen – das Unternehmen soll sich nicht auf den Lorbeeren ausruhen, sondern die glanzvollen Wagen noch besser machen.
„Ich übernehme von nun an keinen einzigen Wagen mehr, dessen Zahngetriebe nicht vollkommen geräuschlos ist“, schreibt er beispielsweise am 25. August 1904. „Es ist effectiv festgestellt, dass Zahngetriebe der DMG derzeit die lärmendsten unter allen Fabrikaten sind, und dass sogar Wagen viel minderer Klasse ruhiger gehen, wie die unsrigen.“ Das Verhältnis zwischen Jellinek und der Unternehmensführung in Cannstatt ist entsprechend angespannt.
Der Ton seiner Verbesserungsvorschläge und Reklamationen wird im Laufe der Jahre immer rüder. Schon früh sind die DMG-Vorstandsmitglieder gekränkt und wollen für die weiter verbesserten Wagen ab 1902 wieder „Daimler“ als Markenbezeichnung einführen, denn: „Wir hielten dies […] auch in Ihrem Interesse, namentlich mit Rücksicht auf die vielen Reklamationen, welche Sie über die Mercedes-Type schon erhoben haben“, heißt es in einem Brief des Vorstands. Doch letztlich einigt man sich darauf, dass der nun weithin bekannte Markenname beibehalten und fortan in aller Welt verwendet wird: 1902 heißen alle Personenwagen aus dem Hause Daimler Mercedes, die Wortmarke wird am 23. Juni 1902 geschützt.
Als am 10. Juni 1903 ein großer Teil der Daimler-Fabrik in Cannstatt abbrennt, wird wiederum Jellinek mobil: Weil auch die drei Mercedes 90 PS für das Gordon-Bennett-Rennen den Flammen zum Opfer gefallen sind, überlegt er, wer ihm für die Veranstaltung ein Auto zur Verfügung stellen kann – und welches: Am besten einen vom Typ 60 PS, denn die haben bisher bei Rennen gut abgeschnitten. Er wird beim Amerikaner Gray Dinsmore fündig. Der belgische Rennfahrer Camille Jenatzy steuert den Wagen bei dem Rennen, das in Irland ausgetragen wird, siegreich ins Ziel. Damit trägt sich erstmals ein deutsches Auto in die Siegerlisten ein – und Deutschland hat die Ehre, das Rennen mit Weltgeltung, vergleichbar mit heutigen Formel-1-Veranstaltungen, im Jahr 1904 auszutragen.
Der Selfmade-Millionär Jellinek hat offenbar ein ausgeprägtes Selbst- und Prestigebewusstsein und ist stolz darauf, Zugang zum europäischen Hoch- und Geldadel zu haben und somit zu den oberen Kreisen von Nizza zu gehören. Titel und Orden findet er schick. Als er im Jahr 1903 in Österreich das Recht zugesprochen bekommt, dem Familiennamen das inzwischen berühmte Markenzeichen Mercedes hinzuzufügen, sieht er dies als eine Art Adelsbrief an. Von nun an heißt er Emil Jellinek-Mercedes und soll dies mit den Worten kommentiert haben: „Wohl zum ersten Male trägt ein Vater den Namen seiner Tochter.“ 1904 ernennen die Vereinigten Staaten von Mexiko ihn zu ihrem Konsul in Nizza, 1908 wird er Ehrengeneralkonsul Österreich-Ungarns in Monaco. Auf Fotografien vom Anfang des 20. Jahrhunderts zeigt er sich gern in ordengeschmückten Uniformen.
Unterdessen brodelt es in Cannstatt: „Die folgenschwere Entscheidung, sich im weitaus dominierenden Auslandsverkauf weitgehend an einen einzigen Zwischenhändler zu binden, war in dieser Aufbauphase des Exports gewiss richtig“, schreiben Max Kruk und Gerold Lingnau in ihre Buch „Daimler-Benz: Das Unternehmen“. Und weiter: „Für längeren Bestand konnte sie aber nicht konzipiert sein.“
So zeigen die Aufsichtsratsprotokolle der Jahre 1902 und 1903, dass sich das Direktorium mit der zu festen Bindung an Jellinek zusehends unwohl fühlt. Vor allem, weil der erfolgreiche Händler die Preisgestaltung ihrer Meinung nach ganz nach Gutdünken vornimmt und im Prinzip keinerlei Risiko trägt, wenn etwas schief läuft. Der Vorstand überlegt, wie man das Verkaufstalent Jellinek nach dem Vertragsende im Jahr 1905 weiter bindet, ohne sich jedoch zu sehr in seine Hand zu begeben. In der Aufsichtsratsitzung vom 7. September 1904 wird beschlossen, den Vertrieb neu zu organisieren und eine Verkaufsgesellschaft in Frankreich zu gründen, weil dort der größte Teil der Produktion verkauft wird.
Der Anteil der DMG an der „Mercedes Société Française d’Automobiles Paris“, die 1905 mit einem Kapital von 5 Millionen Francs gegründet wird, beträgt 10 Prozent, zusammen mit den kooperierenden Bankinstituten hat das Unternehmen 60 Prozent der Anteile – und somit die Mehrheit. Der Minderheitsaktionär Jellinek wird einstimmig zum delegierten Verwalter ernannt.
Das nie überragend gute Verhältnis zwischen dem Händler in Nizza und der Führungsmannschaft in Cannstatt wird zusehends schlechter. Der Praktiker macht weiterhin Verbesserungsvorschläge, derer man in Deutschland zusehends überdrüssig wird. Zudem hält er der DMG immer wieder vor, sie würde falsche Wagen konstruieren, die Absatzschwierigkeiten hätten und zudem auch noch zu spät geliefert würden. Resultat: War das Verhältnis früher schon angespannt, nun ist es zerrüttet.
Der Ton wird schärfer: „Ihre Mitarbeit auf Grund Ihrer praktischen Erfahrungen und der Ihnen aus den Kreisen der Interessenten zustehenden Wünsche möchten wir auch künftig keinesfalls entbehren, doch haben sich auf dem Wege der brieflichen Verständigung verschiedentlich Missverständnisse herausgestellt und Schärfen in der Korrespondenz gezeitigt, die mit unseren gegenseitigen und gemeinsamen Interessen nicht in Einklang zu bringen sind“, schreibt der Vorstand ihm am 15. September 1906. „Andererseits sind Ihre persönlichen Besuche auf unserem Werk zu selten und dann zu kurz, als dass die stets in beschleunigtem Tempo aufgesetzten Protokolle faktisch ihren Zweck erfüllen könnten.“ Stattdessen soll Jellineks Neffe Otto Zels, der seit 1905 für Jellinek arbeitet, zweimal monatlich zu Fahrzeugerörterungen nach Untertürkheim kommen, weil er „auf Grund seiner technischen Bildung“ dazu am besten in der Lage sei, wie es mit einem weiteren Seitenhieb auf Jellinek heißt, der keinerlei technische Ausbildung vorweisen kann.
„Im Jahre 1903 feierte man den ‚Propheten’“, schreibt Guy Jellinek-Mercedes dazu in Anspielung auf den Text der Medaille, die ihm die DMG 1903 verleiht. „Im Jahre 1906 hat man über und über genug von seinen Prophezeiungen wie auch von seinen Vorwürfen. Ruhe wird erst mit dem Abschied des Tyrannen eintreten.“ Es trifft Emil Jellinek zudem schwer, dass sein langjähriger Vertrauter Maybach die DMG nach andauernden internen Querelen am 1. April 1907 verlässt: „Der Schlag kommt nicht unerwartet, aber er trifft ihn hart“, schreibt sein Sohn Guy.
1907/08 folgt der amerikanischen Finanzkrise in Europa eine Wirtschaftskrise, und die Verkaufszahlen gehen nach unten. Die Konsumneigung ist schwach und ein Auto, ein teurer Mercedes zumal, ist ein Luxusgut, dessen Anschaffung man sich versagt oder verschiebt. Die DMG will der Krise mit einer abermaligen Neuorganisation des Vertriebs entgegensteuern und erhebt die Unabhängigkeit von Dritten zum obersten Prinzip. Man gibt Jellinek eine Mitschuld an der Überproduktion und beschließt 1907, den Vertrag mit der Mercedes Société aufzulösen. Zum einen will die DMG den Verkauf künftig besser steuern, zum anderen mehr Einfluss auf die Preisgestaltung haben: „Das Bestreben der DMG ist dahin gerichtet, durch möglichste Ausschaltung der Zwischenhändler den Preis für die Konsumenten zu verbilligen“, heißt es im Protokoll der Aufsichtsratssitzung vom 30. September 1907. Ein Jahr später hat man sich mit Jellinek geeinigt, er lässt sich auf einen Vergleich ein und kehrt der DMG den Rücken.
Derweil entfacht das Automobil ein neues Rekordfieber: Im englischen Brooklands erreicht Victor Hémery am 8. November 1909 mit dem Benz 200 PS, genannt „[intlink id=“512″ type=“post“]Blitzen-Benz[/intlink]“, die bisher größte Geschwindigkeit für Straßenfahrzeuge. Die sensationellen 205,666 km/h beobachtet Jellinek als Privatier. Und trotz des ganzen Ärgers mit der Führungsspitze in Cannstatt bleibt er Zeit seines Lebens Mercedes-Automobilen treu – mit nur zwei Ausnahmen: Er besitzt auch einen Itala mit ventillosem Motor und einen kirschroten Rolls-Royce mit schwarzen Kotflügeln.
(Fotos: Daimler AG)
Geschrieben von Oliver Hartwich
Erschienen am Freitag, den 26. März 2010 um 12:25 Uhr | 12.742 Besuche
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30. Dezember 2010 um 15:42
Bedanke mich fur die intressante Beschreibung von Mercedes Benz