2012
Oktober 1992. Mercedes-Benz präsentiert den letzten Entwurf von Star Designer Bruno Sacco: das S-Klasse Coupé – die Baureihe W140. Muteten die Vorgänger noch filigran an, so fuhr das neue Coupé deutlich wuchtiger vor. Die Begeisterung war verhalten, nach sechs Jahren Bauzeit wurden dennoch 26.022 Einheiten verkauft. Das war vor allem auch ein Verdienst des hohen technischen Niveaus, wodurch der Wagen letztlich den Anspruch des besten Autos der Welt gerecht wurde.
Zwei Vierventil-Achtzylinder mit 279 und 320 PS und erstmals auch ein V12 boten genug Leistung, um das zwei Tonnen-Flaggschiff angemessen zu beschleunigen. Das dies möglichst entspannt geschah, war die Aufgabe der ausschließlich lieferbaren Automatikgetriebe, die die Kraft an die Hinterräder schickten. Dort wachten ASR und beim V12 ein ESP-System darüber, dass die Traktion nicht abriss, während sich die Insassen von den zahlreichen Helfern verwöhnen lassen konnten. Denn analog zur Limousine wartete auch das Coupé mit allem Luxus auf, den man sich 1994 vorstellen konnte. Dazu eine unerreichte Material- und Verarbeitungsgüte, die das Auto auch heute noch zu einem außergewöhnlichen Angebot machen.
Damals wie heute bietet das Mercedes-Benz S-Klasse Coupé (W140) ein ganz besonderes Maß an Exklusivität. Wie bei allen Luxuslinern der 90er-Jahre liegen aber auch bei diesem Modell Licht und Schatten recht eng beieinander.
Die Tücke steckt dabei im Detail. So gelten die beiden Achtzylinder zwar als standfest, doch Wartungsmängel und die natürliche Alterung der im Motor verbauten Kunststoffteile und Dichtungen können für teure Schäden sorgen. Besonders aufwändig und somit kostenintensiv zu wechseln sind dabei die sieben aus Kunststoff gefertigten Gleitschienen der Steuerkette des Ventiltriebs.
Diese brechen durch das Erwärmen und Abkühlen im Ölnebel des Kettenkastens irgendwann, fallen dann in das Stirndeckelgehäuse und sorgen im besten Fall für einen unrunden Leerlauf und Leistungsmangel durch fehlende Kettenspannung, im Regelfall jedoch für einen kapitalen Motorschaden. Der prophylaktische Austausch der Bauteile ist bei den rund 15 Jahre alten Motoren dringend angeraten, bedingt aber den Ausbau des Motors. Der einzige Vorteil daran ist, dass dabei auch nahezu alle Dichtungen und Lager erneuert werden können. Der Nachteil, dass hierfür mindestens 4.000 Euro fällig werden.
Der V12 verfügt nicht nur über deutlich mehr Leistung und mehr Gewicht (immerhin 394 PS und 200 Kilogramm zusätzlich), sondern auch über mindestens doppelt soviel potentielle Fehlerquellen, deren Lokalisierung nur etwas für Spezialisten ist. Alternde Elektronikbauteile und von der extremen Hitze im Motorraum aufgelöste Kabelbäume können die Freude an dem Coupé empfindlich schmälern. Hier haben selbst die Werkstätten ihre Probleme bei der Reparatur des Topmodells.
Beruhigend ist es, dass zumindest die Kraftübertragung kaum Probleme macht. Die Vier-und Fünfgangautomaten verrichten ihren Dienst meist über die gesamte Lebensdauer problemlos, entsprechende Wartung natürlich vorausgesetzt.
Der Probefahrt kommt bei einem Luxusliner naturgemäß besondere Bedeutung zu. Schon auf den ersten Metern lässt sich dabei viel über die Qualität des angebotenen Exemplars herausfinden. Knarzende und polternde Achsen weisen auf eine überfällige Überholung des aufwändigen Fahrwerks ebenso hin, wie haltloses Schaukeln und Wippen in schnell gefahrenen Kurven. Das optionale Aktivfahrwerk (ADS, Serie beim CL 600) bereitet zudem häufig Verdruss durch unplausible Fehlermeldungen, die nicht selten zum Austausch der recht teuren Dämpfer führen.
Doch das Fahren ist nur eine Seite der Medaille des großen Coupés. Bereits im Stand trennt sich die Spreu vom Weizen. Versagt etwa die FCKW-freie Zwei-Zonen-Klimaanlage ihre kühlende Wirkung, ist Ursachenforschung angesagt. Sofern der Verlust des Kältemittels von einem undichten Verdampfer herrührt, kommt dies einem wirtschaftlichen Totalschaden gleich. Zur Reparatur muss neben den vorderen Sitzen nämlich auch die komplette Schalttafel ausgebaut werden, wofür selbst geübte Fachleute mindestens zwei Tage benötigen. Die aufwändige Konstruktion der Anlage erfordert zudem eine genaue Überprüfung aller Funktionen der Steuerung. Dies gilt auch für die Unterdruckanlage des großen Coupés.
Das S-Klasse Coupé verfügt nicht nur über eine Zentralverriegelung, die per Unterdruck arbeitet, sondern auch über pneumatisch verstellbare Lordosenstützen in den Sitzen, eine pneumatische Verriegelung der Sitzlehnen und eine pneumatische Servoschließung der Türen und des Kofferraumdeckels. Zwei voneinander unabhängige Unterdruckpumpen mit integrierten Steuereinheiten regeln die Drücke, doch die in den Pumpen agierenden Elektromotoren altern und versagen gerne ihren Dienst. Die Reparatur ist selbstverständlich aufwendig und teuer.
Angesichts dieser Fülle von technischen Problemen verkommt die Überprüfung der Karosse zur puren Liebhaberei. Passen die Spaltmaße, hält sich der Rostbefall der mit Wasserlacken lackierten Bleche und Falze in Grenzen? Fragen, die sich mit der Routine mehrerer Besichtigungen schnell klären lassen. Dazu unbedingt die Karosserie mittels eines Magneten auf eventuelle Spachtelabenteuer untersuchen und auf die Vollständigkeit von Serviceunterlagen und Schlüsseln achten. Kann der Besitzer noch einen dicken Ordner originaler Mercedes-Benz Werkstattrechnungen mitgeben – dann ist die Sache eigentlich perfekt. Nun die Quizfrage: trotz alledem jetzt ein S-Klasse Coupé kaufen?
…die beschriebenen happigen Reparaturkosten zum Kaufpreis noch hinzu. Besser ist da ein gepflegtes Modell mit Sonderausstattung und verhältnismäßig wenigen Kilometern. Die sind aber nicht unter 10.000 Euro zu bekommen. Doch die Suche lohnt sich, denn die 3.000 Euro-Bastelautos nehmen nach allen Reparaturen locker die 10.000-Euro-Hürde. Zudem kann man mit diesen Exemplaren nur dann etwas anfangen, wenn man mindestens über eine abgeschlossene KFZ-Mechatroniker-Ausbildung verfügt und gegen eine intensive Bekanntschaft mit dem Mercedes-Ersatzteildienst nichts einzuwenden hat.
Eine Empfehlung sind meistens Fahrzeuge aus dem Nachbarland Schweiz. Autos von dort sind fast immer mit lückenlosem Scheckheft, aus erster oder zweiter Hand zu bekommen und verfügen häufig über eine recht opulente Ausstattung. Zudem ist im Preis eine mehr oder minder lange und genussvolle Heimreise inklusive.
Technische Daten
Motoren: 4,2 Liter und 5,0 Liter V8- bzw. V12-Vierventilmotoren mit Katalysator
Höchstgeschwindigkeit: alle Modelle 250 km/h
Verbrauch V8-Modelle: 15 bis 16 Liter auf 100 km Superbenzin
Verbrauch V12: 18 Liter auf 100 km
Bauzeit: 1992 bis 1998 (500 SEC / 600 SEC Coupé), ab 1993: S 420 / S 500 / S 600 Coupé, 1996 – 1998: CL 420 / CL 500 / CL 600 Coupé)
Stückzahl: 26.022
Fotos: Daimler AG
Geschrieben von Maik Jürß
Erschienen am Dienstag, den 08. Mai 2012 um 15:48 Uhr | 19.202 Besuche
Abgelegt unter Gebrauchtwagen
Kommentar schreiben oder Diskussion führen
Diesen Beitrag als PDF speichern
RSS-Feed ·
RSS 2.0 Kommentar-Feed ·
Permalink