2012
Die SL-Baureihe von Mercedes-Benz ist legendär. Die Weltpremiere des neuesten SL der Baureihe R 231 im Januar 2012 auf der Detroit Auto Show hat eindrucksvoll gezeigt, wie lebendig diese Legende ist. Der SL ist eine Ikone, für die es keinerlei Werbung bedarf – könnte man meinen. Bei genauerer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, dass die von Mercedes-Benz beauftragten Werbefachleute den Glanz des SL überaus geschickt einsetzen. Und das seit 1952.
Immer wieder taucht in der Werbung die Modellreihe mit dem Kürzel SL auf, das bei Automobil-Enthusiasten die Herzen höher schlagen lässt. Angefangen hat alles 1952 mit unterschiedlichen Werbemaßnahmen rund um den 300 SL Rennsportwagen (W 194), den Urvater der SL-Reihe: Mit künstlerischem Anspruch gemalte Rennsiegplakate aus aller Welt ehren nicht nur die Helden hinterm Steuer, sondern weisen auch auf die technische Überlegenheit der Sportwagen von Mercedes-Benz hin: Der 300 SL Rennsportwagen beweist auf den internationalen Rennpisten seine Stärke mit zum Teil Technik aus serienmäßigen Personenwagen von Mercedes-Benz aus der damaligen Zeit.
Der internationale Erfolg des 1954 vorgestellten Seriensportwagens mit dem Namen 300 SL (W 198), der berühmte Flügeltürer, wird also schon früh vorbereitet: Zwar hängen die Werbeplakate bevorzugt in den Verkaufsräumen, doch auch in Zeitungen und Zeitschriften taucht der 300 SL vermehrt als Botschafter mit dem Stern auf. Andere Unternehmen aus der Automobilbranche springen auf den Zug auf und nutzen das faszinierende Fahrzeug als Werbeträger für ihre eigenen Produkte.
Die Wirkung der in der Werbung eingesetzten statischen Abbildungen wird durch die Möglichkeiten des sich rasch ausbreitenden Bewegtbilds noch übertroffen: Rasante Fahraufnahmen vom SL flimmern durch die Kinotheater und vermitteln den Fernsehzuschauern ab den 1960er-Jahren einen Eindruck von Geschwindigkeit – sogar im heimischen Wohnzimmer. Viele Menschen träumen von einem Wagen wie dem Mercedes-Benz 230 SL (W 113), der im Jahr 1966 von den Werbetreibenden kurzerhand zum „vernünftigsten Traumwagen der Welt“ gekürt wird. 1991 hat der 300 SL (R 129) einen Auftritt als „Sommernachtstraum“. Von Generation zu Generation hat sich eine Sache nicht verändert: Der SL tritt in der Werbung seit 1952 als faszinierendes Automobil auf, dem es in einmaliger Weise gelingt, Sportlichkeit mit Komfort sowie atemberaubendes Design mit innovativer Technik zu verbinden.
Die Jahre von 1952 bis 1963 – die Serienfahrzeuge 300 SL, 190 SL und 300 SL Roadster sind Ikonend der Werbegeschichte
Der markante Kühlergrill mit dem großen Stern ragt quer über das ganze Plakat, am Streckenrand werfen Zuschauer vor Begeisterung mexikanische Strohhüte in die Luft, und im Hintergrund wächst ein überdimensionaler Kaktus in den Himmel. Im Cockpit des Mercedes-Benz 300 SL Rennsportwagens sitzen Karl Kling und Beifahrer Hans Klenk, zwei Helden der 3. Carrera Panamericana des Jahres 1952 durch Mexiko, eines der anspruchsvollsten Straßenrennen der Welt. Unter dem dramatischen Gemälde des Künstlers Hans Liska steht in schwarzen Lettern: „Im härtesten 5-Tage-Kampf siegt überlegen in neuer Strecken-Rekordzeit der ‚Typ 300 SL‘, entwickelt aus den serienmäßigen Personenwagen von Mercedes-Benz.“
Dass Mercedes-Benz damit wirbt, einen Sportwagen aus den Serienfahrzeugen entwickelt zu haben, erscheint zunächst verwunderlich. In Sachen Technologietransfer gehen Automobilhersteller üblicherweise den entgegengesetzten Weg – vom Rennsport hin zur Serie. Eine passende Erklärung liefert die Geschichte: Nach Kriegsende sind die Werke der damaligen Daimler-Benz AG zu vier Fünfteln zerstört, die Produktion von Lastwagen und Personenwagen läuft nur langsam wieder an – eine deutsche Beteiligung im internationalen Motorsport ist zunächst unvorstellbar. Erst im März 1952 wird der Weltöffentlichkeit der Mercedes-Benz 300 SL Rennsportwagen (W 194) präsentiert. Nach den ersten und zugleich großen Erfolgen beim legendären 1.000-Meilen-Rennen Mille Miglia in Italien, beim Großen Preis von Bern, beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans und auf dem Nürburgring ist der Triumph bei der strapaziösen Carrera Panamericana ein weiterer Schritt auf dem Weg zurück an die Weltspitze des Motorsports. Und das funktioniert: Die Rennerfolge geben der Marke mit dem Stern neuen Glanz, die aufwendig inszenierten Rennsiegplakate schmücken die Verkaufsräume der Mercedes-Benz Niederlassungen und transportieren ein neues Selbstbewusstsein.
Auch andere Unternehmen wissen die wiedererlangte Strahlkraft von Mercedes-Benz zu nutzen und werben im Jahr 1952 mit dem erfolgreichen Rennsportwagen: Varta schmückt sich in der Motor-Rundschau damit, dass bei der Carrera Panamericana „Varta Qualitäts-Batterien“ zum Einsatz kommen. Der Zulieferer Beru verkündet voller Stolz, Kling und Carracciola hätten ihre Erfolge „mit normalen Beru-Zündkerzen“ errungen. Und Bosch preist nach mehr als 3.800 Kilometern bei den 24 Stunden von Le Mans die Überlegenheit der „serienmäßigen Bosch-Ausrüstung von der Lichtmaschine bis zur Zündkerze“.
Mercedes-Benz 300 SL und 190 SL – Premieren in New York und Paris (Baureihen W 198 und W 121)
Die Weltpremiere des Seriensportwagens Mercedes-Benz 300 SL (W 198) erfolgt zwei Jahre später, im Februar 1954 auf der International Motor Sports Show in New York. Seinen ersten Auftritt in Europa hat der begehrte Wagen dann in Paris. Eine monochrome, kupferstichartige Werbeanzeige aus Frankreich zeigt den 300 SL vor dem Triumphbogen. Die Werbung berücksichtigt den Schritt aus dem Rennsport in die Serienfertigung: Anders als bei den Rennsiegplakaten ist das Fahrzeug deutlich sachlicher inszeniert.
Auf der anderen Seite des Atlantiks ist die Euphorie 1955 ähnlich groß: „It’s here!“ Mit diesem freudigen Ausruf begrüßen die Vereinigten Staaten den 190 SL (W 121). Der Roadster wird zu einem Preis von 3.733,50 US-Dollar offeriert und bietet eine ganze Menge: Er bringe „neuen Fahrspaß“, setze „ neue Standards“ und helfe sogar dabei, „neue Freunde“ zu finden. („bringing new driving pleasures, settomg smart new styles and standards, winning new friends“).
In die gewohnte Richtung – also vom Rennsport hin zur Serie – zielen die werbenden Worte auf einem Verkaufsprospekt des Mercedes-Benz 300 SL (W 198) aus dem Jahr 1955: „Den Gewinn aller Siege des Mercedes-Sterns legen die Konstrukteure der Daimler-Benz AG mit diesem Sportwagen von souveräner Eleganz in die Hände ihrer Kunden.“ Der Flügeltürer wird als käufliche Straßenversion des erfolgreichen Sportwagens gepriesen – beinahe kann man auf der daneben gestellten Tuschezeichnung den Duft der Lorbeerkränze riechen. Erschaffen hat den silbernen 300 SL auf blauem Grund Werbezeichner Walter Gotschke, der seit 1938 für Daimler-Benz tätig ist.
Aus der gleichen Feder stammt eine Zeichnung auf dem Prospekt des offenen Mercedes-Benz 190 SL aus dem Jahr 1955. Der Mann hinterm Volant trägt Mütze, die Dame auf dem Beifahrersitz versteckt das Gesicht hinter einer modischen Sonnenbrille. Die vorbeifliegende Natur und die Architektur im Hintergrund lassen auf eine Spritztour durch südlichere Gefilde schließen. Etwas später wird dieses Motiv wieder aufgegriffen, erhält jedoch eine völlig neue Dramaturgie: Die ganze Szenerie wirkt etwas düsterer, die Vorderräder des 190 SL sind deutlich nach links eingeschlagen, und im Hintergrund galoppieren nun Rennpferde durch die Landschaft.
Klar und nüchtern präsentiert sich eine Anzeige aus dem Jahr 1956, die für einen rot lackierten Mercedes-Benz 190 SL wirbt: „Ob als Roadster oder mit Coupé-Dach gefahren – was die vollendete Form seiner Karosserie an dynamischem Schwung erkennen lässt, wird für Sie am Steuer des 190 SL zu einem begeisternden Erlebnis.“ Das Layout folgt einem klaren Konzept, für das Horst Slesina verantwortlich zeichnet. Gemeinsam mit William Heumann hatte Slesina den Auftrag erhalten, einen einheitlichen Mercedes-Benz Stil zu schaffen. „Ihr guter Stern auf allen Straßen“ lautet die zentrale Botschaft, womit die Daimler-Benz AG erstmals in ihrer Geschichte einen produktübergreifenden Markenslogan hat.
Im März 1957 wird auf dem Genfer Automobil-Salon ein Roadster als Nachfolger des Flügeltürers vorgestellt. Der offene 300 SL Roadster (W 198) geht wie sein Vorgänger auf die Initiative des US-Amerikaners Max Hoffman zurück, der seit September 1952 offizieller Importeur für Nordamerika von Mercedes-Benz Fahrzeugen ist. Die dazugehörige Werbekampagne hat Kunstcharakter und kommt von der Heimann-Agentur. Während das viersitzige Mercedes-Benz 220 S Cabriolet unter der Überschrift „Urlaub auf jeder Fahrt“ mit einer Schmetterlingszeichnung beworben wird, schleicht um den neuen 300 SL Roadster ein geduckter Tiger. „Elegant beherrschte Kraft“ lautet der Leitspruch, der Appetit auf ein „erregendes Fahrerlebnis in einem faszinierenden Wagen“ machen soll.
„Any way you look at it – quality.“ Im englischsprachigen Raum wirbt der Stuttgarter Automobilhersteller mit der Qualität seiner Produkte. Auf einer Schwarz-Weiß-Illustration aus dem Jahr 1958 fährt ein Mercedes-Benz 300 SL Roadster an einem Mercedes-Benz 180 „Ponton“ vorbei, die Dame auf dem Beifahrersitz trägt ein schützendes Kopftuch. Der nebenan gestellte Text verspricht, dass man sich in einem Mercedes-Benz immer wie zu Hause fühlt – ganz gleich, ob man sich auf einer langen Geschäftsreise befindet oder zum reinen Vergnügen fährt. In nahezu identischer Aufmachung kommt die Anzeige für den 190 SL daher. Der schwere Fronthauber mit Kipper-Aufbau gibt einen Hinweis auf das vielseitige Angebot von Mercedes-Benz, der Text geht auf Qualität und Wertbeständigkeit aller Produkte mit dem Stern ein: vom Pkw über Bus und Lastwagen bis hin zu Spezialfahrzeug und Dieselmotor.
Im Jubiläumsjahr 1961 gedenkt man den Gründervätern Gottlieb Daimler und Carl Benz. Auch in der Werbung wird die Geburtsstunde des Automobils vor 75 Jahren thematisiert: Auf einer Anzeige ist der Mercedes-Benz 300 SL Roadster gemeinsam mit dem dreirädrigen Benz Patent-Motorwagen abgebildet, den Carl Benz im Jahr 1886 zum Patent anmeldete. „There’s one thing unchanged by time“: Die uralte Sehnsucht nach dem „Reisen mit einer höheren Geschwindigkeit“, die über Jahrzehnte hinweg unverändert existiert, wird als verbindendes Element dieser beiden höchst unterschiedlichen Automobile herangezogen.
Der 190 SL – Werbebotschafter bis zum Produktionsende
Die Fahrertür, bei der das hochwertige Schloss und die edel verarbeitete Innenverkleidung zu sehen sind, gehört zu einem Mercedes-Benz 190 SL und spielt für das besondere Anzeigenmotiv die Hauptrolle. Innerhalb einer neuen Kampagne, die erstmals auf die Fotografie als hauptsächliches Stilmittel setzt, taucht 1963 ein dunkelblauer 190 SL auf – obwohl im selben Jahr der neue Mercedes-Benz 230 SL (W 113) auf den Markt kommt. „Safety you can really feel“ („Sicherheit, die man wirklich fühlen kann“) – die Botschaft ist klar: In einem Mercedes-Benz erleben die Insassen das höchstmögliche Sicherheitsgefühl. Bei der auch international verwendeten Anzeige handelt es sich nicht um intensive Produktwerbung, sondern um eine Form der Repräsentationswerbung. Interessenten werden über die Vorzüge der Marke informiert, allerdings nicht direkt zum Kauf aufgefordert. Eine radikale Neuheit ist die Verwendung von Detailansichten in der SL-Werbung – bislang wurde immer das komplette Fahrzeug gezeigt.
Die „Pagode“ – sportliche Tradition mit dem SL der Baureihe W 113 – Werbung auch im Bewegtbild
Im März 1963 feiert ein neuer SL auf dem Genfer Automobil-Salon seine Premiere. Mercedes-Benz präsentiert einen Sportwagen, der gleich zwei Modelle ersetzen soll. Der Typ 230 SL, intern W 113 genannt, tritt ein schweres Erbe an: Zum einen, weil seine beiden Vorgänger, die Typen 300 SL (W 198) und 190 SL (W 121), von Anfang an sehr beliebt und erfolgreich waren, zum anderen weil beide Automobile – trotz aller Ähnlichkeit – zwei grundverschiedene Fahrzeugkonzepte repräsentierten. Mit dem neuen Modell wird ein Mittelweg eingeschlagen: Der Mercedes-Benz 230 SL ist weder ein kompromissloser Roadster noch ein allzu sanftmütiger Prachtstraßen-Sportwagen, sondern vielmehr ein komfortabler, zweisitziger Reisewagen mit hohen Fahrleistungen und vorbildlicher Fahrsicherheit.
Ein knapp viertelstündiger Werbefilm, produziert von Armin Lang, stellt die sportliche Tradition des Typ 230 SL an erster Stelle. Als Testfahrer tritt der ehemalige Mercedes-Benz Rennfahrer und spätere Rennleiter Karl Kling auf, der ein wenig an einen Radiokommentator der ersten Stunde erinnert. Nach Klings Ansicht vereint der Mercedes-Benz 230 SL „neue, eigenwillige Stilistik und ausgereifte Technik“. Die Aufnahmen zeigen Fahrten über diverse Teststrecken, schnelle Richtungswechsel, waghalsige Überholmanöver und extreme Vollbremsungen. „Hervorragende Straßenhaltung – erreicht durch Trennung von Radführung und Federung, langen Radstand und sehr breite Spur“, attestiert Kling dem SL und schwärmt: „Auch in scharf gefahrenen Kurven – außerordentliche Bodenhaftung und nur geringe Seitenneigung.“ Obwohl auch beispielsweise das beachtliche Volumen des Gepäckabteils und das verstellbare Warmluftgebläse zur Sprache kommen, der Mercedes-Benz 230 SL wird als edler Sportwagen präsentiert. Sogar die auf ihrer Rückseite mit Lüftungsschlitzen versehenen Sitze sind „für sportliches Fahren konstruiert“. Es verwundert kaum, dass der elegante 230 SL zum Abschluss des Films eine Runde über den Nürburgring dreht und Karl Kling resümiert: „Ein Wagen für Individualisten des Volants, denen Sport ohne Fahrkomfort, Exklusivität ohne weltweiten Service nicht genügt – sondern die alles von einem Modell fordern.“
Die ersten gedruckten Werbeanzeigen für den neuen Mercedes-Benz 230 SL spielen ebenfalls die Themen Sportlichkeit und Reisekomfort. Rennfahrerhelm und Melone stehen sinnbildlich für den neuen Wagen. Ein anderes Motiv stellt klar, dass der Wagen mit seinem Sieg beim Langstreckenrennen Lüttich–Sofia–Lüttich „seine erste harte Bewährungsprobe glänzend bestanden“ , man aber durchaus auch „im Verkehrsstrom der Stadt und auf dem abendlichen Boulevard“ mit ihm gewinne. Neben dem Hinweis auf die drei möglichen Dach-Ausführungen – Coupé mit abnehmbaren Dach, Roadster mit versenkbarem Stoffverdeck und Coupé-Roadster, der beides bietet – werden unter der Überschrift „Ein Sportwagen von internationalem Rang“ die Leistung des Einspritzmotors mit 150 PS, der „sehr bequeme Einstieg“ sowie die „ungewöhnlich gute Sicht“ gepriesen.
Eine Annonce greift die gute Sicht des Mercedes-Benz 230 SL „aus der Vielzahl seiner guten Eigenschaften“ heraus und führt sie als „Grundbedingung für schnelles und sportliches Fahren“ auf. Dank der charakteristischen Form des flachen Coupé-Dachs, welches dem SL schon nach kurzer Zeit den Beinamen „Pagode“ verleiht, genieße man „volle Sicht nach allen Seiten mit großem Sichtwinkel nach oben“.
Von oben nach unten gerichtet ist der Blickwinkel für den Betrachter einer englischsprachigen Werbeanzeige. Hier werden die Gefühle angesprochen, die Reiter auf dem Rücken eines galoppierenden Pferdes erleben. Die Sehnsucht nach Kraft, Geschwindigkeit und Rhythmus und das Bedürfnis, der Beste zu sein („One-upmanship“): All dies soll der Sportwagen mit dem großen Stern auf dem Kühlergrill ebenfalls bieten. Der Mercedes-Benz 230 SL verbindet Kraft, Qualität und Stil.
Eine ähnliche Sprache spricht das Werbebild, auf dem ein adrett gekleideter Bogenschütze sein Ziel ins Visier nimmt. Der „Pagoden“-SL steht am Straßenrand geparkt, die weibliche Begleitung lehnt leger an einem Baum im Hintergrund – die ganze Szene spielt in einer blätterraschelnden Herbstidylle. So wirbt Mercedes-Benz im Jahr 1964 für Vollendung.
Sicherheit, Komfort, Wirtschaftlichkeit und Legendenbildung
In den 1950er- und 1960er-Jahren ist es üblich, Frauenbilder in der Kommunikation einzusetzen. Häufig als lächelnde Beifahrerin, die den weitgereisten Herrn auf seinen Spritztouren begleitet – aber auch als selbstbewusste Selbstfahrerin hinterm Lenkrad. Während der männlichen Kundschaft automobile Fachkompetenz unterstellt wird, interessiert man die Damenwelt in zunehmendem Maße für die Themen Sicherheit, Komfort und Wirtschaftlichkeit. Die Furcht vor dem Einparken nehmen möchte Mercedes-Benz mit einem Motiv, das eine Frau im Mercedes-Benz 230 SL bei eben diesem Fahrmanöver zeigt. Die umfangreichen Sonderausstattungen wie Servolenkung und Automatikgetriebe erhöhen demnach den „Spaß, einen Mercedes-Benz zu fahren“. Mit offenem Verdeck sogar im Getümmel der Großstadt.
„Lohnt es sich heute noch, einen sportlichen Wagen zu fahren?“, lautet die sich quasi von selbst beantwortende Anzeige aus dem Jahr 1965. Im Text dazu wird erläutert, dass die Sicherheit des Mercedes-Benz 230 SL größer ist als seine Schnelligkeit und dass er „technisch perfekt (für den Mann) und spielend leicht zu fahren (für die Frau)“ sei. Ein Jahr später erklären die Werbetreibenden den begehrten Typ 230 SL kurzerhand zum „vernünftigsten Traumwagen der Welt“. Klar an die Männerwelt gerichtet ist die Abbildung eines leuchtendroten 230 SL: Wenn Sie eine Probefahrt mit ihm machen, „haben Sie keine Ruhe mehr von ihm, bis Sie ihn haben“ , heißt es im Text der Anzeige, die es auch auf Französisch gibt. Auch wenn es selten geworden ist, dass sich „die Leute auf der Straße nach einem Auto umdrehen“ – beim 230 SL sei es auch deshalb noch so, „weil der Ruf dieses Wagens einer Legende gleicht“.
Mercedes-Benz 250 SL und 280 SL
Ein offener Roadster steht im hellen Licht der Sommersonne – mitten in einem Feld. Noch bevor er im Jahr 1967 auf den Markt kommt, um den Typ 230 SL abzulösen, wirbt Mercedes-Benz mit dem neuen 250 SL. Das Personenwagen-Programm der Stuttgarter besteht zu diesem Zeitpunkt aus 15 Modellen, die „in 162 Länder der Erde von insgesamt 168 Ländern“ geliefert werden. Im Folgejahr wird dasselbe Motiv erneut verwendet, diesmal mit erklärenden Texten zu den wichtigsten Neuerungen des 250 SL, die fast alle aus dem Mercedes-Benz 250 SE stammen: 2,5 statt 2,3 Liter Hubraum, Scheibenbremsen an allen vier Rädern und ein größerer Kraftstofftank mit jetzt 82 Liter Fassungsvermögen. Übrigens: „Zwei der beliebten Extras sind das Mercedes-Benz Automatische Getriebe und die Servolenkung.“
„Mit dem Fahrwerk und dem Motor eines Sportwagens, aber mit dem Komfort einer Reiselimousine“ – dieser einfache Satz reicht aus, um den Mercedes-Benz 250 SL in einer Werbeanzeige zu beschreiben. Auf dem dazugehörigen Foto scheint der Wagen aus der oberen linken Bildecke zu brausen – dabei wirbelt er ordentlich Staub auf. Mit dem 250 SL sei das Mercedes-Benz Personenkraftwagen-Programm für 1967 vollständig, heißt es am Ende des Anzeigentextes. „Weitere Änderungen […] wird es in diesem Jahr entgegen anderslautenden Gerüchten nicht geben!“
Die Werbetexter sollten Recht behalten. Etwas weniger als ein Jahr nach seiner Präsentation wird der Typ 250 SL allerdings vom 280 SL abgelöst: Mit der Markteinführung der neuen Mittelklasse-Fahrzeuge erhält auch der SL einen 20 PS stärkeren 2,8-Liter-Motor. Abgesehen vom Typenschild ist der 280 SL nur an den geänderten Radzierblenden von seinen beiden Vorgängermodellen zu unterscheiden. Einen seiner seltenen Werbeauftritte hat der 280 SL gemeinsam mit dem berühmten Mercedes-Benz 300 SEL 6.3, eine Limousine mit sportwagenähnlichen Fahrleistungen: „Der eine ist ein Sportwagen mit Limousinen-Komfort, der andere eine Komfort-Limousine mit Sportwagenleistung. Wählen Sie.“ So einfach kann Auto-Werbung sein.
„Wenn ein neuer Mercedes kommt, dann kommt ein neues Auto.“ So wird die Ära des 350 SL und damit der nächsten SL-Baureihe eingeläutet. „Alles andere würde Mercedesfahrer verwundern.“ Tatsächlich: Technisch ist das neue Modell, intern R 107 genannt, eine echte Neuentwicklung. Mit dem Vorgängermodell gibt es praktisch keine Gemeinsamkeiten. Elementare Komponenten sind jedoch bereits aus anderen Mercedes-Benz Typen bekannt: Vorder- und Hinterradaufhängung entsprechen prinzipiell der bei den „Strich-Acht“-Modellen verwendeten Konstruktion, und der V8-Motor verrichtet seinen Dienst auch in den Limousinen, Coupés und Cabriolets vom Typ 280 SE 3.5. Die Unterschiede hinsichtlich der Gesamtkonzeption fallen weniger deutlich aus: Auch der 350 SL ist ein Zweisitzer mit voll versenkbarem Roadsterverdeck und abnehmbarem Hardtop. Die Abkehr vom kompromisslos harten Sportwagen, die mit dem „Pagoden“-SL bereits begonnen worden war, hin zu einem komfortablen, aber leistungsstarken Luxus-Zweisitzer ist mit dem neuen SL endgültig und eindeutig vollzogen.
Auch in der zu Werbezwecken eingesetzten Bildersprache lässt sich ein Wandel erkennen: Weniger Rennstreckenatmosphäre, mehr Alltagssituationen lautet die Devise. In einem einminütigen Werbefilm fährt der Mercedes-Benz 350 SL über kurvige Landstraßen, durch düstere Tunnel, enge Alleen und Altstadtgassen. Seine Souveränität darf der SL auf der Autobahn zeigen, wenn er mit geschlossenem Verdeck einen französischen Kleinwagen überholt. Alles wirkt spielend leicht, die lockere Hintergrundmusik verstärkt diesen Eindruck. Sogar einen Ausflug an den Strand wird dem SL gestattet – kleine Wellen rollen ans Ufer, die Sonne wird zum Mercedes-Stern.
Neben solchen angenehmen Alltagssituationen bildet das Thema Sicherheit eine wichtige Säule der SL-Werbung: „Einer der sichersten Gran Turismos der Welt – und einer der schönsten“, lautet die Botschaft einer in der Schweiz veröffentlichten Annonce. Der Typ 350 SL ist darauf drei Mal abgebildet: als offener Roadster, mit geschlossenem Stoffverdeck sowie mit dem aufgesetzten Hardtop. In einer rund vierminütigen Produktinformation aus dem Jahr 1975 werden zahlreiche innovative Details gezeigt, die der aktiven und passiven Sicherheit der Typen 280 SL, 350 SL und 450 SL dienen: Neu entwickelte Windleitprofile an den vorderen Dachsäulen werden bei Regen zu Schmutzwasserrinnen und halten die Seitenscheiben bei ungünstiger Witterung sauber, die weit herumgezogenen, großflächigen Heckleuchten sind dank ihres gerippten Oberflächenprofils gegen Verschmutzung weitgehende unempfindlich. Die immer wieder gern gezeigte Fahrt über die hauseigene Teststrecke unterstreicht die vorbildliche Abstimmung des Fahrwerks. Die Knautschzone samt sicherer Fahrgastzelle werden erklärt und die Vorzüge des über der Hinterachse liegenden Kraftstofftanks dargestellt. Auch die neue Sicherheits-Lenksäule und das Lenkrad mit Pralltopf flimmern durchs Bild.
Zweifellos spielt die auf Sicherheit ausgelegte Technik eine wichtige Rolle in der Werbung. Eine Werbeanzeige aus dem Jahr 1976 steht unter dem Motto „Sicherheit durch Dynamik“. Im Text dazu heißt es: „Die größtmögliche Sicherheit, die ein Auto bieten kann, ist Überlegenheit im Beherrschen seiner Kraft: Durch ein Fahrwerk, das schneller ist als sein Motor.“ Doch nicht nur die ausgereifte Technik des SL wird angesprochen, auch die „Gelassenheit beim Fahren“ ist ein Thema der Anzeige. Nicht nur der SL wird zu dieser Zeit unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit beworben. In den 1970er-Jahren entwickelt die Marke mit dem Stern verschiedene modellübergreifende Kampagnenslogans wie „Wenn man von Mercedes spricht, denk man an Sicherheit“ (1971 bis 1972) oder „Die Sicherheit, besser zu fahren“ (1975 bis 1976).
Während sich die Damenwelt für Wendigkeit und Übersichtlichkeit des SL begeistern soll, folgt der Mann von Welt seinem uralten Instinkt und sucht das Abenteuer. Mit mehr als 200 km/h geht es über die Autobahn, der Spurt an der Ampel ist gewagt, das vorbildliche Kurvenverhalten wird auf öffentlicher Straße demonstriert. Die technischen Daten sind beeindruckend, 200 PS, von null auf 100 km/h in 8,8 Sekunden, 210 km/h Spitze: „Für zügiges, beherrschtes und faires Fahren.“ Zwölf Jahre später haben klassische Geschlechterrollen in der Werbung beinahe ausgedient: In einer Anzeige aus dem Jahr 1987 sitzt ein junges Paar gemeinsam in einem Mercedes-Benz 420 SL – zugegeben, der Mann sitzt hinterm Steuer. „Sie haben noch ein Erlebnis offen: Mercedes SL.“ Mit dieser eingängigen Botschaft wird für offenes Fahren in den Typen 300 SL, 420 SL und 500 SL geworben.
Eine Skurrilität in der Werbung stellt die Auflistung von sechs gängigen Vorurteilen gegenüber Mercedesfahrern dar, die im Jahr 1971 in einem Extra-Kasten auf der Werbeanzeige für den 350 SL platziert wird. Von „stockkonservativ“ über „total unsportlich“ bis „ungeheuer materialistisch“ reicht die Aufzählung. Darunter steht gleichsam auffordernd und hoffnungsvoll: „Mercedesfahrer nehmen diese Vorurteile in Kauf. Sie wissen eben genau, was sie wollen. Und Sie wissen es bestimmt auch.
Die nächste SL-Generation, intern R 129 genannt, gehört im März 1989 zu den Hauptattraktionen des Genfer Automobil-Salons. Der neue SL steckt voll neuer Technologie, vor allem bei der passiven Sicherheit werden bemerkenswerte Verbesserungen erzielt. Von Seiten der Werbung wird die Markteinführung jedoch zunächst nicht mit Hinweisen auf technische Innovationen, sondern mit einem Blick zurück in die Historie der Modellreihe vorbereitet: Als Stimmungsmacher wird der legendäre Flügeltürer von 1954 ins Feld geschickt. „Was 1954 außer der Fußball-WM noch passierte“, verrät die neue Hausagentur Springer & Jacoby mit einer Anzeige, die den klassischen 300 SL mit geöffneten Flügeltüren zeigt. Im dazugehörigen Text heißt es: „Wenn wir heutzutage bei Mercedes-Benz ein neues Auto konstruieren, dann ist eine Legende wie der 300 SL immer der Maßstab, an dem wir uns messen.“
Die argumentative Brücke von 1954 in die Gegenwart schlägt die Mercedes-Werbung mit einer Vielzahl weiterer Motive. „Der Beginn einer Legende.“ Diese vier Worte genügen als Bildbeschreibung einer doppelseitigen Studioaufnahme eines silbernen Mercedes-Benz 300 SL von 1954. Wer eine Doppelseite weiter blättert, erblickt eine identisch komponierte Abbildung eines neuen 500 SL, dazu zwei prägnante Sätze: „Die Legende lebt. Der neue SL.“ Tradition und Innovation gehören laut Anzeigentext „bei einem Mercedes-Benz auf einzigartige Weise zusammen“. Als konkrete Beispiele zukunftsweisender Technik werden unter anderem die „Motoren in Vierventil-Technik mit kennfeldgesteuerter Einlass-Nockenwelle“ und das „Fahrwerk mit vollautomatischem, adaptiven Dämpfungssystem und geschwindigkeitsabhängiger Niveau-Regulierung“ genannt.
In den Vereinigten Staaten dürfen Renn- und Serienversion des Flügeltürers in der Werbung für den neuen SL gemeinsam als Sympathieträger auftreten: „Die Unsterblichen fuhren ihn“ („The immortals drove it“), heißt es dort zwischen historischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen, „die Welt bejubelte ihn“ („The world acclaimed it.“), „die Sammler schätzten ihn“ („The collectors prized it.“) – und „jetzt übertrifft ihn ein Auto“(„Now, one car surpasses it.“).
Eine weitaus nüchternere Sprache spricht die Kampagne in Deutschland: Die bereits aus dem Vorjahr bekannte Studioaufnahme des silbernen 500 SL wird 1990 für eine Annonce mit „Leitstern für eine neue Qualität der Sportlichkeit“ überschrieben. Dem SL werden „Leistung, Sicherheit und Komfort auf gleich hohem und unvergleichlichem Niveau“ bescheinigt und er wird zum „Vorbild für eine neue Auffassung von Sportlichkeit“ erkoren. Mehr Understatement geht kaum.
Aber es geht noch trockener: Die drei „Autovision“-TV-Spots von 1989 zu den Themenbereichen Leistung, Sicherheit und Komfort stellen die technischen Finessen des neuen SL in einer Art und Weise dar, die an Ernsthaftigkeit kaum zu übertreffen ist. „Wohin fährt das Automobil? Geht es um immer mehr Leistung? – Oder müssen wir uns nicht vielmehr dem Zielkonflikt zwischen Leistung, Sicherheit, Komfort und Umwelt stellen“, fragt der Sprecher – und bekommt die passenden Antworten von den jeweiligen Mercedes-Benz Experten ins Mikrofon diktiert.
Die Kreativen von Springer & Jacoby zeigen, dass es auch anders geht. Mit der großformatigen Anzeige „Schön, dass er keinen Überrollbügel hat. – Gut, dass er doch einen hat.“ gelingt es, das Thema Sicherheit mit einem Augenzwinkern aufzugreifen. Der SL sei „ein Auto, das in der Öffentlichkeit gerne als ‚Technik-Wunder‘ und ‚Supersportwagen‘ bezeichnet“ werde – und das liege nicht zuletzt auch am „Überrollbügel, den man nur sieht, wenn man ihn braucht“. Der automatische Überrollbügel sichert im Fall eines Überschlags den Überlebensraum der Insassen. Um die Freude am Offenfahren nicht durch starren Überrollbügel zu beeinträchtigen, wird im SL erstmals eine bewegliche Lösung verwirklicht, die im Fall der Fälle innerhalb von nur 0,3 Sekunden hochklappt. Werbung kann so einfach sein: In Großbritannien reicht eine Bilderserie mit drei Fotos vom Crashtest und das deutsche Wort „Wunderbar“ aus, um die Sicherheit des SL zu bewerben. Selbstverständlich tritt im Beschreibungstext auch hier der automatische Überrollbügel als Protagonist auf – und nebenbei wird auch noch die Sicherheit der neu eingeführten Mercedes-Benz C-Klasse angepriesen.
Ein Sommernachtstraum – auch während der Wintermonate
Der automatische Überrollbügel tritt in der SL-Werbung immer wieder in Erscheinung, sogar in einer Anzeige, die für die Auszeichnung mit dem Designpreis „Car Design Award“ in Turin wirbt: „Mercedes gewinnt den Großen Preis von Turin mit einem Serienauto.“ Das Foto zeigt nicht mehr als die angeschnittene Front eines weinroten SL – mit dem großen Stern auf dem Kühlergrill. „Ein Sommernachtstraum“ ist eine Werbeanzeige aus dem Jahr 1991 betitelt, die einen offenen Mercedes-Benz 300 SL an der Küste zeigt. Beim Anblick dieses Fotos wird deutlich: Die Unsichtbarkeit des Überrollbügels hat ästhetische Gründe, der SL ist vor allem im offenen Zustand ein echter Traumwagen. In nur 30 Sekunden ist das Faltdach geöffnet – ein Knopfdruck genügt. Der darunter gestellte Text geht auf das serienmäßige Hardtop ein, mit dem der SL „nicht nur in Sommernächten, sondern auch während der Wintermonate ein traumhaft schönes Erlebnis“ sein soll.
Automobile Schönheit – von nichts anderem handelt auch eine Anzeige, die Anfang der 1990er-Jahre in den Vereinigten Staaten erscheint. Das Spiel von Licht und Schatten, die Konturen der gestreckten Motorhaube und der glänzende Stern: Obwohl nur etwas mehr als ein Drittel des Fahrzeugs abgebildet ist, erkennt man den SL sofort. Der Zweisitzer als Kunstwerk, das ist das Selbstverständnis dieser Werbeanzeige: „Die meisten großen Kunstwerke folgen klassischen Formen. Und einige wenige erschaffen sie.“ Eine gelungene Kreation aus künstlerischer Studiofotografie und pfiffiger Werbeidee ist eine US-amerikanische Annonce aus dem Jahr 1993. Unter dem roten, von der Seite fotografierten SL befindet sich anstelle einer markanten Überschrift lediglich ein in Anführungszeichen gesetztes Herzschlag-Diagramm. „Ihr Puls beschleunigt sich, wenn Sie sich dem Mercedes-Benz 500 SL Roadster nähern“, beginnt der mehrspaltige Text, der die verstreichenden Augenblicke bis zum Drehen des Zündschlüssels beschreibt.
Technologietransfer kennt nicht nur eine Richtung
Weit zurück in die Geschichte blickt eine doppelseitige Anzeige, die dem Tourenrennwagen Sauber-Mercedes C11 von 1989 den 300 SL Rennsportwagen (W 194) aus dem Jahr 1952 gegenüberstellt. „Schön, dass wir nichts verlernt haben“, ist darüber zu lesen. In dem recht ausführlichen Text darunter wird über den Technologietransfer vom Rennsport in die Serienproduktion philosophiert: „Über den Wert des Motorsports wurde immer schon heftig diskutiert. Und die Automobilhersteller sagen, dass sie die Rennsporterfahrungen für die Serienfertigung brauchen. Kurz: dass sie so gute Serienautos bauen, weil sie so gute Rennwagen bauen.“ Bei Mercedes-Benz, so heißt es, funktioniere das „allerdings genausogut auch umgekehrt“.
Besonders in Affalterbach bei Stuttgart kommen sich Rennwagen-Konstruktion und Serien-Pkw-Fertigung besonders nahe. Seit 1990 gibt es zwischen AMG und der Daimler-Benz AG einen Kooperationsvertrag. Mit Wirkung vom 1. Januar 1999 wird AMG bei einer Beteiligung von 51 Prozent ein Tochterunternehmen der damaligen DaimlerChrysler AG und trägt den Namen Mercedes-AMG GmbH. Als 1993 die ersten auf Basis des Kooperationsvertrags entwickelten Fahrzeuge auf den Markt kommen, ist es in der SL-Klasse zunächst der Typ SL 60 AMG (6,0-Liter-V8, 381 PS) den es bis 1998 gibt. Es folgen die Modelle SL 55 AMG (5,5-Liter-V8, 354 PS, 1999 bis 2001) sowie das Spitzenmodell mit Zwölfzylindermotor, der SL 73 AMG (7,3-Liter-V12, 525 PS, 1999 bis 2001).
Ein neuer SL für das 21. Jahrhundert: Die Baureihe R 230 – „Sport wie nie zuvor“
Als erstes Modell der nächsten SL-Baureihe, intern R 230 genannt, feiert der Mercedes-Benz SL 500 im Juli 2001 seine Weltpremiere in den Hamburger Deichtorhallen. Mercedes-Benz schlägt ein neues Kapitel der SL-Geschichte auf: Im Unterschied zu all seinen Vorgängern trägt dieser SL sein festes Dach stets mit sich. Das so genannte Variodach öffnet oder schließt sich binnen 16 Sekunden auf Knopfdruck. Markante Design-Details des neuen SL vereinen Tradition und Zukunft: So greifen beispielsweise die Luftöffnungen in den vorderen Kotflügeln ein typisches Merkmal des Typ 300 SL aus den 1950er-Jahren auf. Auch die schmalen, flügelähnlichen Profile an diesen seitlichen Luftöffnungen – von den Fachleuten „Finnen“ genannt – sind eine Reminiszenz an die legendären Sportwagen.
„Ihn zu fahren, könnte ihr Herz belasten. Ihn nie zu fahren, könnte es brechen.“ An der fein ironischen Tonalität der großformatigen Anzeige zur Markteinführung des neuen SL erkennt man die verantwortliche Werbeagentur Springer & Jacoby. Mit dem Versprechen, „Sport wie nie zuvor“ wird auf das Variodach hingewiesen, dass sich in einer Weltrekordzeit öffnet. Als Klammer dient eine rhetorische Frage – inklusive Antwort: „Müssen wir mehr sagen? Der neue SL wird Sie bewegen – auch wenn er steht.“ Emotionen ansprechen will der 45 Sekunden kurze TV-Spot, der 2001 über die Fernsehgeräte läuft. Der Schwarz-Weiß-Film zeigt zunächst jubelnde Fans und ihre angespannten Gesichter und stellt dann die Frage: „Wenn Zuschauer so fühlen, wie fühlen dann erst die Sportler?“ Als Antwort gibt es Fahraufnahmen des neuen SL und die Aussicht, mit dem SL „Sport wie nie zuvor“ zu erleben. „Mit SBC, ABC und ESP“. Denn auch ein SL kommt natürlich nicht ohne zeitgemäße Sicherheitsausstattung aus. Im Zuge der Modellpflege im Frühjahr 2008 kommt der SL 63 AMG auf den Markt. „Luftwiderstand zwecklos“, warnt die dazugehörige Anzeige, die einen SL mit auffallend viel Zierat aus der Welt des Motorsports zeigt.
Für und mit klassischen SL-Modellen: Legendenpflege – Werbung mit historischen Fahrzeugen
Einen Mythos kann man nicht künstlich erschaffen, er entsteht von selbst. Im Laufe der Jahrzehnte sind die historischen SL-Modelle – allen voran der weltberühmte Flügeltürer – zu einem automobilen Mythos geworden. Die Faszination für diese Fahrzeuge bewegt Auto-Liebhaber in aller Welt. Es verwundert daher kaum, dass Mercedes-Benz das Potenzial dieser Klassiker auch für diverse Werbemaßnahmen nutzt.
„Mille grazie, Mille Miglia.“ 1997 feiert die Mille Miglia, ein legendäres italienisches Langstreckenrennen von Brescia nach Rom und zurück, ihren 70. Geburtstag. Mercedes-Benz ist dabei und spendiert dem erfolgreichen 300 SL Rennsportwagen (W 194) von 1952 eine ganzseitige Anzeige. Dass es heute nicht mehr um Höchstgeschwindigkeiten, sondern um gleichmäßiges Fahren geht, steht nirgends. Warum auch: Das klein gedruckte „Veni, vidi, vici!“ über dem sonnigen Foto transportiert den Rennsport-Mythos ja auch viel besser.
Beispielhaft für die kombinierte Werbung mit historischen und aktuellen Modellen ist die Anzeige von 1994. „Damals waren Sie etwas zu jung“, steht über der Abbildung eines Typ 300 SL Roadster von 1957. Darunter ist das Foto eines damals aktuellen SL der Baureihe R 129 zu sehen, mit einem gut gemeinten Ratschlag tituliert: „Warten Sie nicht, bis Sie zu alt sind.“ Die klare Botschaft lautet: Jetzt oder nie.
Auf einer drei Jahre später erscheinenden Annonce fahren die beiden Modelle in die entgegengesetzte Richtung, diesmal ist der aktuelle SL über dem Klassiker abgebildet. „Es gibt Alternativen zu einem neuen SL“, lautet die verbreitete Diagnose, die in der nächsten Zeile eine interessante Präzisierung erfährt: „Etwa 1.200 Stück.“ Leser des Anzeigentextes erfahren, dass es vom 300 SL Roadster (W 198 II) „nie mehr als 1858 Stück weltweit gegeben hat“ und dass er heute nur noch schwer zu bekommen sei. Man solle sich doch bitte damit trösten, „dass der aktuelle SL um einiges bequemer ist und in viel größerer Stückzahl als sein Vorfahr produziert wird“.
Der silberne 300 SL Roadster mit rotem Interieur steht in einer dunklen Studio-Umgebung. Nur wenige Worte reichen aus, um im Jahr 2007 die Botschaft einer in Österreich veröffentlichten Werbeanzeige zu kommunizieren: „1957 lohnte es sich besonders, in Silber zu investieren.“ Den Stern, den Mercedes-Benz Schriftzug und die Internetadresse flankiert nur noch ein weiterer, klein gedruckter Satz: „Seit Jahrzehnten ein Traum von Luxus.“
A 198 725 0223, A 198 725 0123 oder A 198 766 0126 – mit diesen Nummern finden man für einen Mercedes-Benz 300 SL aus den 1950er-Jahren auch heute noch die richtigen Original-Teile. Bei Mercedes-Benz ist der Klassiker mit den Flügeltüren sogar „auf Wunsch auch in Einzelteilen erhältlich“ – das zumindest verspricht eine Werbeanzeige aus dem Jahr 2010.
Werbung mit klassischen SL-Modellen macht nicht nur Mercedes-Benz. Auch andere Unternehmen nutzen die einzigartige Strahlkraft der begehrten Automobile für sich und ihre Produkte. „Was früher nur wenige hatten, können heute alle haben.“ Mit dieser Behauptung wirbt Bosch 1999 auf einer doppelseitigen Werbeanzeige für die Benzin-Direkteinspritzung, die „ursprünglich nur Fahrzeugen der Spitzenklasse vorbehalten“ war. Auf dem Foto fachsimpeln zwei Jungen an einem 300 SL mit geöffneter Flügeltür. Bereits im Jahr 1988 lässt der Autopflege-Spezialist Sonax für eine Annonce zwei Hunde mit einem Mercedes-Benz 300 SL Roadster posieren: Während Herrchen den wertvollen Wagen wäscht, schütteln sich die langhaarigen Vierbeiner – überaus fotogen und genau im richtigen Moment abgelichtet.
Fotos: Daimler AG
Geschrieben von Maik Jürß
Erschienen am Donnerstag, den 28. Juni 2012 um 03:13 Uhr | 24.033 Besuche
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