2017
Das S bei Mercedes‘ S-Klasse steht für „Sonder“-Klasse. Es könnte aber auch für Storp stehen. So der Name des Mannes, der den Luxusgleiter seit 17 Jahren verantwortet. Wenn er Ende 2017 geht, hat er drei „Storp-Klassen“ auf den Weg gebracht. ntv.de hat sich mit Storp über die Zeit als Entwicklungschef des Luxusliners unterhalten.
Wenn man sich mit Dr. Hermann-Joseph Storp über die Mercedes S-Klasse unterhält, dann ist es, als würde man über ein Familienmitglied sprechen. Wen wundert’s, Storp ist seit 17 Jahren Entwicklungschef des Luxusliners. Der W221 und der W222 sind seine Babys und die nächste Generation, den W223, hat der Mann aus dem Ruhrpott bereits „angeschoben“. „Beenden muss das Projekt ein anderer, ich bin Ende des Jahres raus“, sagt der 60-Jährige und hat dabei etwas Wehmut in der Stimme. Denn so richtig kann er sich mit dem Gedanken, in den Ruhestand zu treten, noch nicht anfreunden. Obgleich er zugeben muss, dass zwar die Energie noch da ist, aber die „Regenerationszeiten“ etwas länger werden.
Was er auf jeden Fall mitnimmt, sind die Geschichten aus 17 Jahren. Und wenn man Storp fragt, was wohl die größte Herausforderung in seiner Zeit als Vater der S-Klasse war, dann sagt er: „Die Entwicklung eines Vierzylinder-Diesel-Hybrids für das Luxusschiff.“ Tatsächlich gab es 2005 den Gedanken, der S-Klasse mit Blick auf die Effizienz einen selbstzündenden Vierender einzupflanzen. Die Angst, dass das Zwei-Tonnen-Gefährt damit untermotorisiert gewesen wäre, fegt Storp mit einer Handbewegung weg: „Nee, der hatte 150 KW und 500 Newtonmeter Drehmoment, den konntest du echt gut fahren. Der ging bis 190 km/h, dann wirkte er ein bisschen angestrengt, aber bis dahin echt top. Und wenn du nur cruisen willst, ein echtes Sparwunder.“
Viel musste Storp investieren, dass der raue Diesel „smooth“ wirkt, schnurrt wie eine Katze. Dass sich das Triebwerk am Ende nicht durchgesetzt hat, liegt also weder an der mangelnden Laufruhe noch an fehlender Potenz. Einziger Grund war, dass der Motor bei den Käufern der S-Klasse nicht ankam. Die Kundschaft traute dem Braten nicht und setzte lieber weiter auf Sechs-, Acht- oder gar Zwölfzylinder. Dennoch, so Storp, war die Entwicklung nicht umsonst: „Der Erfahrungsschatz bleibt. Wenn du jetzt einen Motor über die Lager ruhigkriegen willst, dann weißt du einfach, wo du hinfassen musst.“
Die Motoren sind ohnehin sein Ding. „Die machen eine S-Klasse aus.“ Insofern freut sich Storp, dass jetzt nicht nur ein völlig neu entwickelter Reihensechszylinder mit der Power eines V8 in das Fahrzeug zurückkehrt, sondern auch der V8 selbst mit kleinerem Hubraum auf ganzer Strecke überzeugt und zwei sparsame Sechszylinder Diesel für Fahrspaß sorgen. Fragt man Storp, was rückblickend in 17 Jahren S-Klasse ein weiteres Highlight war, verweist er auf das Ambientelicht. „Die Idee hat Dieter Zetsche damals aus den USA mitgebracht. Keiner wollte es haben, aber er hat gesagt: ‚Nee, lasst uns das mal machen, die Amerikaner lieben das‘. Und recht hat er gehabt.“ Damals waren es gerade mal fünf Lichtstimmungen, aus denen die S-Klasse-Fahrer wählen konnten. Heute sind es 64 und hinzukommen all die neuen Wellnessfunktionen, die das Ganze mit Massage, Beduftung, Klimatisierung und Musik zu einem Luxus-Entspannungs-Paket vereinen.
Aber nicht nur die technischen Belange und der Wohlfühlfaktor spielen eine Rolle bei der Entwicklung einer S-Klasse. „Du musst natürlich auch auf das Design aufpassen. Es kann ja nicht sein, dass so ein Knopf nur gut aussieht, der muss sich auch bedienen lassen“, erklärt Storp. Bis jetzt blieb die S-Klasse von dem radikalen Wandel, den Chefdesigner Gorden Wagener über alle Fahrzeugklassen von Mercedes-Benz gezogen hat, verschont. Beim kommenden W213 haben er und sein Team richtig Hand angelegt, was es natürlich auch für die Entwickler nicht einfacher macht.
„Gerade bei der nächsten S-Klasse gab es Diskussionen, ob die Linien, die wir jetzt zeichnen, produktionstechnisch hinzukriegen sind. Aber ich habe da ein gutes Team im Design, das auch die technischen Belange zu berücksichtigen versteht“, erzählt Storp. Am Ende hat man sich natürlich geeinigt und die Kundschaft darf gespannt sein, wie wenige Bügelfalten es im Blech des neuen Luxusliners aus Sindelfingen geben wird. Denn dass sich der Ausruf „Die Sicke ist tot“ von Wagener nicht durchsetzen wird, darf getrost bezweifelt werden. „Die haben schon ein ziemliches Gewicht bei uns, die Designer“, grinst Storp. Aber, und das muss auch der Entwicklungschef anerkennen, hat sich das in Summe für Mercedes-Benz bezahlt gemacht.
Neben der Mercedes-Benz S-Klasse verantwortet Storp aber auch die Entwicklung der Highend-Version, den Mercedes-Maybach. Fragt man ihn, was denn mehr Spaß macht, gibt es eine klare Antwort: „Die S-Klasse natürlich! Das ist der Stoßzahn, auf den alles aufbaut. Wenn du das erste Auto durch hast, dann flutscht der Rest einfach hinterher. Die größte Herausforderung ist die Abstimmung des Coupés. Akustik, Fahrverhalten, Geräuschentwicklung – das ist nicht ohne. Aber der eigentliche Knackpunkt sind die rahmenlosen Türen und die fehlende B-Säule. Hier muss auf ganz anderen Wegen für die Verwindungssteifigkeit und die Geräuschdämmung gesorgt werden als bei einer Limousine. Pflicht ist aber das erste Auto, das du entwickelst, das muss sitzen. Der Rest ist dann Kür und Feintuning.“ so Storp.
Allerdings würde sich selbst der Entwickler aus Leidenschaft nicht dazu hinreißen lassen, das Ganze als pure Spaßveranstaltung zu verkaufen. Am größten wird der Druck vor der Markteinführung. „Da stellst du dir schon mal die Frage: Ist dass das Auto, was der Kunde will? Kommt vom Zulieferer die Qualität, die wir brauchen? Haben wir die Qualität in der eigenen Produktion? Es gibt immer wieder Abnahmefahrten. Da sind plötzlich Geräusche im Auto, die es vorher nie gab und die wir auch nicht wollen. Und das geht so die letzten 12 Monate. Das schlaucht schon.“ Wenn dann aber alles geklappt hat, möchte man behaupten: Je größer die Herausforderung, desto größer der Spaß.
Viele Sachen sind in der Entwicklung mit der Digitalisierung einfacher geworden, betont Storp. „Wir haben heute 3D-Darstellungen. Da setzt du dich auf einen Stuhl und fühlst dich dank 3D-Brille wie in der neuen S-Klasse. Dann lässt du dich noch mal in das Vorgängerfahrzeug beamen und vergleichst. Wie lassen sich die einzelnen Elemente in den unterschiedlichen Autos bedienen, wie ist der Blick und das subjektive Raumgefühl? Das ist schon grandios.“ Das Verfahren gibt es seit circa acht Jahren. Richtig zum Einsatz kommt es bei Mercedes-Benz seit sechs. Eins kann die 3D-Sitzprobe aber nicht: Sie kann nicht die Menschen ersetzen, die mit ihrer unterschiedlichen Physiognomie hinter dem echten Lenkrad einer S-Klasse sitzen werden. Deshalb wird, bevor das neue Auto fertig ist, noch ein anderer Kunstgriff gemacht. „Wir sichern uns in der Hardware dahingehend ab, dass wir eine aktuelle S-Klasse mit den wesentlichen Featuren des Nachfolgers ausstatten. Nur so kannst du sicherstellen, dass der Lange, der Dicke und der Kurze am Ende die richtige Position finden“, erklärt Storp.
Alles richtig gemacht hat Storp, wenn sich die S-Klasse am Ende verkauft. Und insofern kann der Mann über die Arbeit der letzten 17 Jahre nicht klagen. In Deutschland steht der Luxusliner vor 7er BMW und Audi A8. Allein nach China gehen 25 Prozent der Gesamtproduktion der S-Klasse und sogar 60 Prozent der Maybach-Produktion. Lediglich in den USA muss man sich ausgerechnet Elektropionier Tesla geschlagen geben. „Daran muss man arbeiten“, so Storp. Ob er das mit der nächsten Generation der S-Klasse schon getan hat, verrät er natürlich nicht. Wenn er aber Ende des Jahres seinen Posten übergibt, wird er seinem Nachfolger mit Sicherheit sagen, was er ntv.de gesagt hat: „Autos gestalten, ist das Schönste, was es gibt!“
Fotos: Daimler AG, Text: ntv.de
Geschrieben von Maik Jürß
Erschienen am Samstag, den 13. Mai 2017 um 00:05 Uhr | 9.422 Besuche
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