Okt15
2010


Die S-Klasse der Baureihe W116 im Jahr 1972

Schon ewig scheinen die Oberklasse-Limousinen der Marke Mercedes-Benz die Bezeichnung „S-Klasse“ zu tragen. Doch tatsächlich ist das erst seit 1972 der Fall: Damals debütiert die neue Oberklasse-Baureihe mit der unternehmensinternen Bezeichnung 116 offiziell unter dem Namen S-Klasse, zunächst mit den Typen 280 S, 280 SE und 350 SE. Im Jahr 1975 bringt die Marke ein neues Spitzenmodell heraus, das Maßstäbe in vielerlei Hinsicht setzt: Der Mercedes-Benz 450 SEL 6.9 ist die hubraumstärkste Limousine der damaligen Zeit, und er bietet Fahrleistungen auf sportwagenähnlichem Niveau. Ebenfalls Maßstäbe setzt 1977 der Typ 300 SD: Er ist die erste Mercedes-Benz Oberklasse-Limousine mit Dieselmotor. Damals ist der Typ ausschließlich für den Export nach Nordamerika bestimmt. Doch er war ein Vorreiter – heute ist der Dieselantrieb in allen Klassen eine selbstverständliche Alternative zum Ottomotor.

Die S-Klasse ist immer ein Innovationsträger gewesen und brachte zahlreiche Neuerungen der Automobiltechnik, die branchenweit Maßstäbe setzen. So auch die Baureihe 116: Sie punktet auf vielen Gebieten, beispielsweise mit Innovationen wie der Doppelquerlenker-Vorderachse, die erstmals 1969 im Erprobungsfahrzeug C 111 zum Einsatz gekommen war. Die S-Klasse ist konsequent nach den Ergebnissen der Sicherheitsforschung konstruiert, bis hin zum Innenraum, der an vielen Stellen mit Blick auf ein extrem geringes Verletzungsrisiko gestaltet ist. Der Kraftstofftank ist kollisionsgeschützt über der Hinterachse eingebaut. Und 1978 debütiert eine epochale Neuerung auf dem Gebiet der Sicherheit: Mercedes-Benz präsentiert in der S-Klasse der Baureihe 116 als Weltneuheit das Anti-Blockier-System ABS – ein langjähriger Traum der Ingenieure wird wahr. Die Zahl der innovativen Details lässt eine solche S-Klasse heute noch aktuell sein. Damit ist sie ein wahrer Moderner Klassiker.

Ein kurzer Blick zurück: Eine völlig neu entwickelte Fahrzeuggeneration der Oberklasse wird im September 1972 der Öffentlichkeit präsentiert. Die erstmals offiziell so genannte „Mercedes-Benz S-Klasse“ – interne Bezeichnung W116 – löst die Baureihen W108/109 ab und umfasst zunächst die Typen 280 S, 280 SE und 350 SE. In den Typen 280 S und 280 SE kommt der Sechszylindermotor M110 mit zwei obenliegenden Nockenwelle zum Einsatz, der in der Baureihe W114 debütiert hatte. Ein halbes Jahr später wird die S-Klasse Limousine, parallel zu den Typen 450 SL und 450 SLC der Baureihe 107, auch mit dem hubraumstärkeren 4,5-Liter-V8-Motor angeboten. Zum selben Zeitpunkt erscheint der Typ 450 SEL mit einem um 100 Millimeter verlängerten Radstand; wie bei seinen Vorgängermodellen kommt der Raumgewinn der Beinfreiheit im Fond zugute. Die verlängerte Version ist von November 1973 an auch als 350 SEL, von April 1974 an schließlich auch als 280 SEL erhältlich.

Eine bemerkenswerte technische Neuerung, die in Serie erstmals bei den Limousinen der Baureihe 116 verwirklicht wird, ist die beim C 111 erprobte Doppelquerlenker-Vorderradaufhängung mit Lenkrollradius Null und Bremsnick-Abstützung; sie ermöglicht eine weitere Verbesserung der Fahreigenschaften. Die Hinterradaufhängung entspricht im Wesentlichen der Konstruktion, die sich in den „Strich-Acht“-Typen mittlerweile seit Jahren bewährt hat und außerdem im Typ 350 SL verwendet wird. Die 4,5-Liter-Typen erhalten eine Koppelachse.

Baureihe 116, Innenraum mit Autotelefon

Auch hinsichtlich der passiven Sicherheit markiert die S-Klasse den Stand der Technik: Die Vielfalt der beim Typ 350 SL erstmals realisierten sicherheitsrelevanten Konstruktionsdetails kommt selbstverständlich ohne Einschränkung auch den S-Klasse-Limousinen zugute. So befindet sich der Kraftstofftank nun nicht mehr im Wagenheck, sondern ist kollisionsgeschützt über der Hinterachse eingebaut; im Innenraum sorgen das stark gepolsterte Armaturenbrett, deformierbare oder versenkt angeordnete Schalter und Hebel sowie ein Vierspeichen-Sicherheitslenkrad mit Pralltopf und breiter Polsterplatte für größtmöglichen Aufprallschutz. Wichtigste Verbesserung im Vergleich zur Vorgänger-Baureihe ist die noch stabilere Sicherheits-Fahrgastzelle mit versteifter Dachrahmen-Struktur, hochfesten Dachpfosten und Türsäulen sowie verstärkten Türen. Die Energieabsorption der vorderen und hinteren Knautschzone kann durch kontrollierte Deformationsfähigkeit von Vorbau und Heckbereich deutlich erhöht werden.

Gute Sichtverhältnisse garantieren spezielle Windleitprofile an den A-Säulen, die bei Regen als Schmutzwasserrinnen dienen und die Seitenscheiben auch bei ungünstiger Witterung sauber halten. Weitere sicherheitsrelevante Details sind die weit herumgezogenen, auch seitlich gut sichtbaren Blinker sowie großflächige Heckleuchten, die dank ihres gerippten Oberflächenprofils weitgehend unempfindlich gegen Verschmutzung sind.

Zu seiner Zeit das Maß aller Dinge: der 450 SEL 6.9

Im Mai 1975 wird der 450 SEL 6.9 als neues Spitzenmodell der Baureihe und legitimer Nachfolger des Mercedes-Benz 300 SEL 6.3 präsentiert; der leistungsstarke 6,9-Liter-V8-Motor, entwickelt aus dem bewährten 6,3-Liter-Aggregat, erreicht eine Leistung von 210 kW und ein maximales Drehmoment von 56 mkg (549 Newtonmeter). Höchsten Fahrkomfort gewährleistet die erstmals bei einem Mercedes-Benz Pkw eingesetzte hydropneumatische Federung mit Niveauregulierung. Weitere Sonderausstattungen, die zum serienmäßigen Lieferumfang des Topmodells gehören, sind Zentralverriegelung, Klimaanlage und Scheinwerfer-Waschanlage. Wie sein direkter Vorgänger kann auch der 450 SEL 6.9 auf Anhieb als voller Erfolg verbucht werden; obwohl er mehr als doppelt so teuer ist wie ein 350 SE, werden in der viereinhalbjährigen Produktionszeit 7380 Exemplare gebaut.

Zwischen November 1975 und Februar 1976 wird die Kraftstoff-Einspritzanlage der 2,8-Liter-, 3,5-Liter-und 4,5-Liter-Einspritz-Motoren umgestellt, um den mittlerweile auch in den meisten europäischen Ländern verschärften Emissionsgrenzwerten besser zu entsprechen. Von der elektronisch geregelten Bosch D-Jetronic wechselt man zur neu entwickelten, mechanisch geregelten Bosch K-Jetronic. Die Umstellung ist in allen drei Fällen mit geringfügigen Leistungseinbußen verbunden; beim 2,8-Liter-und beim 3,5-Liter-Motor wird gleichzeitig die Verdichtung etwas reduziert. Zur Wartungserleichterung erhalten die beiden V8-Motoren im Rahmen dieser Maßnahmen eine kontaktlose Transistorzündung und hydraulischen Ventilspiel-Ausgleich.

Parallel zum 2,8-Liter-Einspritzer wird beim Vergasermotor ebenfalls die Verdichtung gesenkt, was auch in diesem Fall ein reduziertes Leistungspotential zur Folge hat. Gut zwei Jahre später, ab April 1978, steht die ursprüngliche Leistung bei den drei Modellen mit Einspritzmotor wieder zur Verfügung. Beim 2,8-Liter-Einspritzer hat man, im Gegensatz zur Vergaserversion, die Verdichtung auf den alten Wert angehoben; bei den beiden V8-Modellen wird das frühere Leistungspotential im wesentlichen durch Änderungen an der Auspuffanlage erreicht.

Mercedes-Benz 300 SD der Baureihe 116 (USA-Ausführung); der Typ wurde von 1977 bis 1980 gebaut

Im Mai 1978 wird die Modellpalette der Baureihe 116 noch einmal erweitert. Als neues Mitglied der Typenfamilie erregt der Typ 300 SD in Fachkreisen ebensoviel Aufmerksamkeit wie drei Jahre zuvor der Typ 450 SEL 6.9, ist aber am entgegengesetzten Ende der Leistungsskala angesiedelt. Angetrieben wird das neue S-Klasse Modell, erstmals in der Geschichte dieser Fahrzeug-Kategorie, von einem Dieselmotor. Der 3,0-Liter-Fünfzylinder, der sich in den Mittelklasse-Typen 240 D 3.0 und 300 D bestens bewährt hatte, erhält für seine neue Aufgabe einen Turbolader, der eine Leistungssteigerung auf 85 kW ermöglicht. Die Entwicklung dieser ungewöhnlichen S-Klasse Variante, die ausschließlich in den USA und Kanada angeboten wird, ist mit der Zielsetzung begonnen worden, die von der US-Regierung neu eingeführten Verbrauchsgrenzwerte zu erfüllen. Maßgebliche Größe ist dabei der so genannte „Flottenverbrauch“, eine Erfindung der Carter-Regierung, die den Durchschnittsverbrauch aller angebotenen Pkw-Modelle eines Herstellers bezeichnet. Mit einem erweiterten Angebot an traditionell sparsamen Dieselmodellen kann der Flottenverbrauch unter das gesetzliche Limit gesenkt werden.

Eine technische Innovation von richtungsweisender Bedeutung wird ab Herbst 1978 weltexklusiv in den S-Klasse Limousinen der Baureihe 116 angeboten: Das gemeinsam mit Bosch entwickelte Anti-Blockier-System ABS, das die uneingeschränkte Lenkfähigkeit des Fahrzeugs auch bei einer Vollbremsung garantiert und damit einen wesentlichen Beitrag zur aktiven Sicherheit leistet. Heutzutage fast eine Selbstverständlichkeit und auch in Kleinwagen verfügbar, ist die Markteinführung des ABS seinerzeit eine echte Sensation.

Sicherheit ganz anderer Art bieten die Sonderschutz-Ausführungen der Baureihe 116. Aufbauend auf den Erfahrungen, die man bei der Entwicklung des sondergeschützten Typ 280 SEL 3.5 gesammelt hat, kann die Schutztechnik weiter verbessert werden. Von den Achtzylindermodellen 350 SE, 350 SEL, 450 SE und 450 SEL werden insgesamt 292 Stück als Sonderschutz-Fahrzeuge produziert und an ausgesuchte Kunden geliefert, darunter zahlreiche staatliche Institutionen in Europa und Übersee.

Nachfolger der ersten S-Klasse Modellreihe werden die im September 1979 auf der auf der Internationalen Automobil-Ausstellung in Frankfurt/Main präsentierten Typen der [intlink id=“1273″ type=“post“]Baureihe W126[/intlink]. Die Produktion der Baureihe 116 ist damit aber noch nicht beendet, sondern läuft, je nach Typ, erst zwischen April und September 1980 aus. Als letztes von insgesamt 473.035 gebauten Exemplaren dieser Modellreihe passiert ein Typ 300 SD die Endabnahme im Werk Sindelfingen.

Typ Konstruktions-
bezeichnung
Produktionszeit
Vorserie – Ende
Stückzahl
280 S W 116 V 28 1972 – 1980 122 848
280 SE W 116 E 28 1972 – 1980 150 593
280 SEL V 116 E 28 1974 – 1980 7032
300 SD W 116 D 30 A 1977 – 1980 28 634
350 SE W 116 E 35 1972 – 1980 51 100
350 SEL V 116 E 35 1973 – 1980 4266
450 SE W 116 E 45 1972 – 1980 41 604
450 SEL V 116 E 45 1973 – 1980 59 578
450 SEL 6.9 V 116 E 69 1975 – 1980 7380
Gesamtzahl 473 035

(Fotos: Daimler AG)



Geschrieben von Oliver Hartwich
Erschienen am Freitag, den 15. Oktober 2010 um 15:51 Uhr  |  17.275 Besuche

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2 Kommentare zum Beitrag “Moderne Klassiker: Die Mercedes-Benz S-Klasse der Baureihe W116”

  1. 1
    Berta schreibt:

    Der W116 hatte einen großen Technologievorsprung vor der Konkurrenz, das merkt man beim Fahren noch heute, wenn man ihn mit anderen 70er Jahre Fahrzeugen vergleicht.Viele Details wurden später von anderen Herstellern kopiert. Rein äußerlich gehört er aber noch in die Chromära, es ist u.a. die Verbindung von überlegener Technik und klassischem Chromschmuck, welche ihn heute so begehrenswert macht.

  2. 2
    Oliver schreibt:

    Ja, stimmt genau. Und das hat sich bis heute nicht verändert. Die S-Klasse ist bei Modellstart immer das Mass aller Dinge im Oberklassensegment, das die Wettbewerber dann – meist mehr schlecht als recht – versucht zu kopieren oder zu übertrumpfen. Die S-Klasse ist nunmal DAS Oberklassenauto – und dieses Marktführung dieser konsequente Vorsprung begann eben mit dem W116.

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