2017
Am 19. Juni 1927 gewinnt Rudolf Caracciola auf Mercedes-Benz Typ S das Sportwagenrennen zur Eröffnung des Nürburgrings. Damit beginnt eine der größten Erfolgsgeschichten des Motorsports. Denn in den folgenden Jahren dominiert die Stuttgarter Marke mit den Kompressor-Sportwagen der Typen S, SS, SSK und SSKL das Renngeschehen in ganz Europa. Ein besonderer Triumph ist Caracciolas Sieg mit einem SSKL bei der Mille Miglia 1931: Er ist der erste Gewinner des Tausend-Meilen-Rennens, der nicht aus Italien stammt. Sportlich ambitionierten Privatfahrern bietet Mercedes-Benz die Typen S, SS und SSK in einer den Rennsportwagen sehr nahen Version an.
„S“ wie „Sport“: Exzellente Wettbewerbsfähigkeit steht bei der Entwicklung des Mercedes-Benz Typ S im Vordergrund. Das macht die Stuttgarter Marke schon mit der Bezeichnung des Kompressor-Tourenwagens klar. Am 19. Juni 1927 zeigt der Rennsportwagen in der Eifel, dass die Mercedes-Benz Konstrukteure und Techniker ganze Arbeit geleistet haben. Rudolf Caracciola gewinnt auf dem Typ S das Sportwagenrennen zur Eröffnung des neuen Nürburgrings. Der Mercedes-Benz Fahrer erzielt die schnellste Zeit aller Klassen mit einem Durschnitt von 101,1 km/h. Sein Mannschaftskollege Adolf Rosenberger kommt ebenfalls auf einem Mercedes-Benz Typ S mit 93,6 km/h Durchschnitt auf Platz 2. Das Rennen wird seinerzeit noch auf der Nordschleife sowie der bis nach Müllenbach reichenden Südschleife ausgetragen. Eine Runde auf dem kompletten Nürburgring ist damit rund 29 Kilometer lang.
Der Mercedes-Benz Typ S wird aus dem Modell „K“ des Jahres 1926 weiterentwickelt. Bereits dieses Fahrzeug, das auf dem gekürzten Fahrgestell des Typs 24/100/140 PS basiert, ist im Rennsport sehr erfolgreich. Das Grundkonzept des hubraum- und leistungsstarken Sechszylinder-Kompressor-Motors mit Doppelzündung behalten die Konstrukteure auch beim Typ S bei. Der neue Tourenwagen wird allerdings umfassend weiter für den Rennsport optimiert – mit gesteigerter Motorleistung, verbessertem Fahrwerk und verringertem Gewicht.
Für den niedrigeren Schwerpunkt sind die Rahmenlängsträger nun auch an der Vorderachse gekröpft und die Kröpfung an der Hinterachse vergrößert. Den tiefer eingebauten Motor versetzen die Ingenieure zudem um 30 Zentimeter nach hinten, was die Achslastverteilung deutlich verbessert. Das Gewicht des Fahrgestells sinkt gegenüber dem Modell K um rund 230 Kilogramm auf nun 1.270 Kilogramm. Zugleich wird der Hubraum um fast 550 Kubikzentimeter auf 6.789 Kubikzentimeter gesteigert. Möglich wird das unter anderem durch eine Umstellung des Motorblocks von trockenen auf nasse Zylinderlaufbuchsen. Durch die Hubraumerhöhung und weitere Maßnahmen wie den Einsatz von Nockenwellen mit größerem Ventilhub und schärferen Steuerzeiten steigt die serienmäßig angegebene Motorleistung von 110 PS (mit Kompressor 160 PS) im Modell K auf 120 PS (180 PS mit Kompressor) beim Typ S.
Das neue Fahrzeug gilt als erstes Modell der sogenannten „Weißen Elefanten“. Mit diesem auf den ersten Blick wenig schmeichelhaften Namen versehen Rennsportfans die Hochleistungssportwagen der Typen S bis SSKL, mit denen Mercedes-Benz die Rennszene Ende der 1920er- und Anfang der 1930er-Jahre souverän beherrscht. Groß sind die in der weißen Rennfarbe Deutschlands lackierten Boliden, stark und mächtig – das infernalische Brüllen des Kompressors trägt ebenso seinen Teil zur Namensgebung bei. Doch da endet der Vergleich mit den Dickhäutern auch schon.
Nach der erfolgreichen Premiere auf dem Nürburgring erzielen die Mercedes-Benz Rennfahrer auf Typ S zahlreiche weitere Erfolge. So belegen Rudolf Caracciola und Willy Walb vom 5. bis 9. Juli 1927 die ersten Plätze ihrer Klasse beim Automobilturnier von Baden-Baden. Caracciola gewinnt hier den Batschari Wanderpreis und siegt im Flachrennen über 4,9 Kilometer zwischen Ettlingen und Rastatt mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 165,8 km/h. Nur eine Woche später am 17. Juli 1927 erzielt die Mercedes-Benz Werksmannschaft beim Großen Preis von Deutschland für Sportwagen auf dem Nürburgring einen Dreifachsieg: Otto Merz gewinnt auf Typ S vor Christian Werner und Willi Walb.
Am 13. und 14. August 1927 dominiert der Typ S das Internationale Klausenpass-Rennen in der Schweiz. Eine besondere Herausforderung stellt dieses Bergrennen an die Auslegung der Getriebeübersetzungen. Denn die Strecke kombiniert zwei steile Serpentinenstücke mit großen Höhenunterschieden am Anfang und am Ende und ein vergleichsweise langes, ebenes Verbindungsstück im Hochtal Urnerboden.
Die Mercedes-Benz Typ S nehmen an den offenen nationalen Rennen des ersten Tages sowie den internationalen Rennen des zweiten Tages teil. Caracciola gewinnt bei den nationalen Rennen auf Mercedes-Benz Typ S die Klasse der Tourenwagen über 5 Liter Hubraum und stellt einen neuen Rekord für Tourenwagen auf. Dieser wird bis zum Ende der Bergrennen auf den Klausenpass nicht mehr unterboten und besteht somit bis heute. Am 13. August 1927 gewinnen die Stuttgarter Typ S die ersten vier Plätze. Auf Caracciola folgen die Rennfahrerin Ernes Merck (Darmstadt) sowie Hans Hürlimann (Zürich) und Wilhelm Merck (Darmstadt). Am 14. August siegt Caracciola im Internationalen Rennen in der Klasse der Sportwagen bis 8 Liter Hubraum vor Hans Hürlimann und Ernes Merck. Die Rennfahrerin gewinnt den Damenpreis des Klausenpass-Rennens. Die Tagesbestzeit erreicht Otto Merz auf Mercedes-Benz Typ S. Merz startet in der Klasse der Rennwagen bis 8 Liter Hubraum.
So vielfältig wie die Rennsiege des Mercedes-Benz Typ S ist die Auswahl an Konfigurationen als Kundenfahrzeug. Der Sportwagen der Spitzenklasse wird ab Werk als offener Tourenwagen mit vier Sitzplätzen und als Cabriolet angeboten. Außerdem statten namhafte Karossiers wie Erdmann und Rossi (Berlin), Freestone and Webb (London), Papler (Köln), Saoutchik (Paris), van den Plas (Brüssel) und Zietz (Genf) das Fahrgestell mit individuellen Karosserien aus. Der Typ S wird im Programm von Mercedes-Benz bereits im Jahr 1928 von den Typen SS und SSK abgelöst, die ebenfalls die interne Bezeichnung W 06 tragen.
Die Nähe zwischen Rennsport und Sportwagen für ambitionierte Privatfahrer sorgt Ende der 1920er-Jahre für eine doppelte Faszination purer Sportlichkeit bei den Kompressor-Tourenwagen von Mercedes-Benz.
Fotos: Daimler AG
Geschrieben von Maik Jürß
Erschienen am Samstag, den 24. Juni 2017 um 00:05 Uhr | 3.240 Besuche
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