2010
1934 wagt Mercedes-Benz sich mit einem revolutionären Fahrzeugkonzept in die Öffentlichkeit, dem Typ 130. Denn ein Wagnis ist es: Einen serienmäßigen Heckmotorwagen hat es in der Markengeschichte bisher noch nicht gegeben. Und selbst in der damals knapp 50 Jahre umfassenden Automobilhistorie hat es noch nicht viele Heckmotorfahrzeuge gesehen.
Ausgangspunkt für die Entwicklung des Typ 130 ist die allgemein schwierige Wirtschaftslage zu Beginn der 1930er Jahre und zudem die erhoffte Massenmotorisierung, an der alle Automobilhersteller teilhaben möchten. Das fordert sie geradezu heraus, kleinere und preisgünstige Fahrzeuge zu entwickeln – insbesondere die Marke Mercedes-Benz, stellt sie bisher doch vor allem noble und teurere Fahrzeuge her. In Deutschland wird zunehmend das Thema des Volkswagens prägend, eine Bezeichnung, die damals eine Gattung und gewünschte Ausrichtung benennt und nicht ein bestimmtes Fahrzeug.
Die Daimler-Benz AG verschließt sich diesen Forderungen der Zeit nicht. Heraus kommt ein grundlegend neuer Entwurf, der Heckmotorwagen. Die Hauptgründe aus damaliger Sicht nennen die originalen Verkaufsprospekte der 1930er Jahre: Der nach hinten verlagerte Motor ermöglicht eine bessere Raumgestaltung. Das gibt den Passagieren bei einem vergleichsweise kurzen Radstand nicht nur Platz, sondern auch vollständig den bestgefederten Raum zwischen den Achsen und somit höheren Komfort. Zudem ist die gesamte Antriebseinheit zu einem Block konzentriert und kommt ohne Kardanwelle aus, was den Fahrzeugen die Vorteile eines geringeren Gewichts sowie reduzierter Übertragungsverluste bringt. Es sei vorweggenommen: Zwar wird das Konzept über die Jahre weiter verfeinert und erlebt 1936 schließlich im Mercedes-Benz 170 H eine große Reife, doch letztendlich können sich Heckmotorautos noch nicht durchsetzen.
Dem Typ 130 gebührt das Verdienst des Heckmotorkonzepts, das vereinzelt schon in Kleinstwagen realisiert worden war, weiter entwickelt und bekannter gemacht zu haben zu haben – noch vor dem Auto, das später als VW „Käfer“ bekannt wird. Der erste Prototyp des „Käfer“ fährt im Oktober 1935 aus eigener Kraft. 1937 baut die Daimler AG im Werk Sindelfingen als Auftragsarbeit 30 weitere Prototypen zwecks genauer Erprobung. 1938 wird die Volkswagenwerk GmbH gegründet, doch kriegsbedingt beginnt die Serienfertigung des „Käfer“ erst 1945. 1946 gelangt das Heckmotorfahrzeug schließlich in den freien Verkauf, rund zwölf Jahre nach dem Mercedes-Benz 130.
Der Typ 130 erhält 1936 einen Nachfolger. Der Mercedes-Benz 170 H trägt als einziger Heckmotortyp das „H“ in der Modellbezeichnung, um ihn vom zeitgleich präsentierten Mercedes-Benz 170 V mit Frontmotor zu unterscheiden. Der Typ 170 H, der bis 1939 im Modellprogramm bleibt, räumt mit zahlreichen Nachteilen auf, die der Vorgänger noch hatte, und bietet ein deutlich kultivierteres Fahrverhalten.
Im Jahr 1934 wird außerdem der zweisitzige Mercedes-Benz 150 mit Coupé-Karosserie bei der Veranstaltung „2000 Km durch Deutschland“ eingesetzt. Er folgt einem Mittelmotorkonzept, gehört aber dennoch in die Riege dieser markanten Fahrzeuge. Er ist für Sportveranstaltungen konzipiert und nimmt insofern eine Sonderrolle ein. Denn die Typen 130 und 170 H sind Personenwagen für den Alltagseinsatz. Im Jahr 1935 debütiert dann noch der [intlink id=“1289″ type=“post“]Mercedes-Benz 150 Sport-Roadster[/intlink] auf der IAMA in Berlin, die offene Variante des Wettbewerbswagens. Er kommt in das offizielle Verkaufsprogramm und wird bis 1936 angeboten, aber nur in äußerst geringer Stückzahl gebaut.
Die Heckmotortypen sind die konsequente Umsetzung einer technischen Vision. Zu dieser Konsequenz gehört auch das Karosseriedesign: Da ein Frontkühler nicht benötigt wird, kann das gesamte Fahrzeug anders gezeichnet werden. Damit weichen die Modelle gründlich ab vom traditionellen Bild der Frontmotorfahrzeuge, das insbesondere bei Mercedes-Benz stark bestimmt ist vom klassischen, fast als ikonografisch zu bezeichnenden Kühlergrill. So präsentiert die Frontpartie sich bei allen Heckmotorfahrzeugen gerundet, mal mit aufgelegtem Stern mit Umrandung (Typ 130), mal mit Stern ohne Umrandung (Typ 170 H), mal mit dem bis heute bekannten, frei stehenden Mercedes-Stern (Typ 150). Dieses Abweichen von überlieferten Designvorstellungen trägt sicherlich einen großen Teil dazu bei, dass die Heckmotorwagen sich nicht so durchsetzen wie erhofft. Aber wenn man die Fahrzeuge heute sieht, kann man ihnen und insbesondere dem Typ 170 H große Modernität nicht absprechen – die sich noch verstärkt, wenn andere zeitgenössische Autos daneben stehen.
Als Nachteil der Heckmotorwagen wird oft ihr Fahrverhalten angeführt, das aufgrund ihrer Gewichtsverteilung schwierig sei – in zu schnell gefahrenen Kurven kann es zum Übersteuern kommen, also zu einem nach vorn drängenden Heck. Keine Frage: Aufgrund physikalischer Grundlagen ist diese Tendenz vorhanden, und zwar generell bei Heckmotorfahrzeugen aller Hersteller. Zeitgenössische Fahrberichte zu den Mercedes-Benz Fahrzeugen testieren diese Tendenz und sparen nicht mit Kritik, sagen aber gleichwohl, dass der Fahrer sich darauf einstellen könne und das eben auch tun müsse, dann sei man in jeder Situation sicher unterwegs. Ergänzt sei, dass im Typ 170 H als späte Evolutionsstufe eines Heckmotorwagens das Fahrverhalten aufgrund umfangreicher konstruktiver Maßnahmen ausgewogener ist. Und gegenüber dem Pendant mit Frontmotor, dem Typ 170 V, punktet dieses Auto sogar in vielen Aspekten, beispielsweise in Sachen Federungskomfort, Geräuschentwicklung, Luftwiderstand und Fahrleistungen.
Der Ruf nach einem kleineren Mercedes-Benz
Die zweite Hälfte der 1920er Jahre ist in der Automobiltechnik eine Zeit der Innovation. Viele Ingenieure lösen sich von den noch immer zahlreich nach dem Vorbild der Kutsche konstruierten Automobilen mit Kastenrahmen, starren Achsen und Blattfedern. Sie streben nach neuen Lösungen, beispielsweise Einzelradfederung und möglichst steifen Rahmen. In diese Zeit technischen Fortschritts passen die Pläne der Daimler-Benz AG. Denn sie greift schon bald nach der im Jahr 1926 erfolgten Fusion der Unternehmen Benz & Cie. und Daimler-Motoren-Gesellschaft ein latentes Thema wieder auf: die Abrundung des Modellprogramms nach unten hin. Unter der Leitung von Ferdinand Porsche als Chefingenieur entstehen mehrere Entwürfe kleinerer Fahrzeuge mit 1,3 und 1,4 Liter Hubraum, einige werden zwecks Erprobung auch gebaut. 1926 sind es acht Versuchswagen (Baureihe W01) mit 1,4-Liter-Sechszylindermotor und einer Motorleistung von 18 kW, 1928 dann etwa 30 Versuchswagen (W14) mit 1,3-Liter-Vierzylindermotor und ebenfalls 18 kW Leistung. Allerdings folgen beide Autos mit seitengesteuerten Motoren und Starrachsfahrwerken noch einer konventionellen Linie. Aus wirtschaftlichen Gründen gelangen sie nicht zur Serienproduktionsreife.
Im Jahr 1931 führt die Daimler-Benz AG dann den von Porsches Nachfolger Hans Nibel verantworteten Mercedes-Benz 170 (W15) in den Markt ein, der ein großer Erfolg wird. Doch man ist noch nicht am Ziel: Aufgrund der auch in Europa fühlbaren Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 1930er Jahre erkennt das Unternehmen den dringenden Bedarf nach einem noch preiswerteren Fahrzeug und löst erneut eine ernsthafte interne Debatte über die Erweiterung des Typenprogramms nach unten hin aus. Insbesondere der Vorstandsvorsitzende Wilhelm Kissel und Chefingenieur Hans Nibel fühlen sich von dieser Thematik besonders herausgefordert, hatten beide doch schon bei Benz & Cie. vor der Fusion erfolgreich Erfahrungen mit kleineren Fahrzeugen gesammelt, zum Beispiel mit dem Benz 6/18 PS von 1911. Unterstützung erhalten sie durch Max Wagner, den Leiter des Konstruktionsbüros, und seinen Konstrukteur Josef Müller.
So entstehen zwischen Ende 1931 und 1934 zahlreiche Entwürfe kleiner viersitziger Heckmotorwagen mit luftgekühlten Boxermotoren und flüssigkeitsgekühlten Drei- und Vierzylindermotoren, die zum Teil als Quermotoren über der Hinterachse platziert sind. Parallel dazu entstehen in der gleichen Größenkategorie aber auch Fahrzeuge mit Frontmotor und Frontantrieb, in dieser Kombination geradezu wegweisend. Kissel befürwortet die Frontmotorkonstruktionen, um gegebenenfalls einen Ersatz für den Heckmotorwagen zu haben.
Im Deutschland der 1930er Jahre gibt es ein weiteres Projekt, das die Branche bewegt: das des Volkswagens. Dieser Begriff bezeichnet damals die Gattung und gewünschte Ausrichtung des Fahrzeugs, keinen bestimmten Typ. Die Volkswagenwerk GmbH nimmt erst 1939 die Serienfertigung des Fahrzeugs auf, das als „Käfer“ bekannt wird. Kissel drängt auf die Beteiligung am Volkswagen-Projekt, kommt zu der Erkenntnis, dass auf privatwirtschaftlichem Weg ein Fahrzeug mit einem Verkaufspreis von 990 RM, wie von Adolf Hitler gefordert, von einer einzelnen Firma nicht herzustellen und zu vertreiben ist. Dabei darf nicht vergessen werden, dass zum Vertrieb auch die Herstellung, Bevorratung und Verteilung von Ersatzteilen sowie die Bereitstellung eines Servicenetzes gehören. Das gilt auch und besonders angesichts bevorstehender Kontingentierung von Rohstoffen und der Segmentierung sowie Zuteilung bestimmter Klassen, in denen sich die einzelnen Firmen zu bewegen haben.
Mercedes-Benz 130 (Baureihe W23, 1934 bis 1936)
Der Mercedes-Benz 130 (W23) wird im März 1934 auf der IAMA in Berlin vorgestellt. Er ist zum Zeitpunkt der Präsentation nicht nur der kleinste Serien-Pkw, der erste Heckmotorwagen und das erste Vierzylindermodell der Daimler-Benz AG, sondern auch der erste in Großserie hergestellte deutsche Heckmotorwagen, sieht man einmal von diversen Kleinstwagen ab. Offiziell trägt er nie das „H“ in der Typenbezeichnung, wenngleich es in werksinternen Dokumenten vielfach verwendet wird.
Ein geringeres Gewicht resultiert beispielsweise daraus, dass keine Kardanwelle notwendig ist, was zugleich aufgrund fehlender Übertragungsverluste die Ausbeute der Motorleistung verbessert. Wer sich auf der IAMA dem Daimler-Benz Stand nähert und sich auf die Begrüßung durch die gewohnten Kühlergesichter der Mercedes-Benz Personenwagen eingestellt ist, wird überrascht. Dem Besucher blinzelt ein neues und sehr ungewohntes Gesicht entgegen, das den Beginn einer neuen Epoche im Fahrzeugbau signalisiert. Lediglich der Mercedes-Stern zeigt dem Besucher, dass er am richtigen Stand steht. Der neue kleinere Mercedes-Benz sorgt in seiner Fahrzeugklasse mit dem bis dahin noch nicht sehr verbreiteten Heckmotor, ein Vierzylinderaggregat, und mit neuen Proportionen für Aufsehen und Nachdenken. Stämmig und unumwerfbar wirkt er im direkten Vergleich mit seinen schmalspurigen und hochbeinigen Klassengenossen, sehr selbstbewusst steht er auf vier einzeln gefederten Rädern.
Der neue Typ macht neugierig und weckt fast die Erwartung, innen größer als außen zu sein – und enttäuscht nicht. Er überrascht mit einem erstaunlich geräumigen Innenraum, nicht viel kleiner als beim Mercedes-Benz 170 mit Sechszylindermotor, dem bis dahin kleinsten Fahrzeug von Daimler-Benz. Die recht große und ungeteilte Windschutzscheibe lässt einen ungehinderten Blick nach draußen zu. Die beiden großen Seitentüren ermöglichen in Verbindung mit den abklappbaren Vordersitzlehnen einen recht guten Zugang zur höher angebrachten Fondsitzbank, hinter deren Lehne noch Raum für einen größeren Koffer ist. Unter der vorderen Haube ist Platz für das waagerecht liegende Reserverad sowie Werkzeug und kleinere Reiseutensilien. Eine große Ausnahmeerscheinung der damaligen Zeit und in dieser Fahrzeugkategorie ohnehin ist die serienmäßige Warmluftheizung.
Der 1,3-Liter-Vierzylindermotor ist eine Neukonstruktion mit stehenden Ventilen und Steigstromvergaser, leistet 19 kW bei 3400/min und ermöglicht eine Höchstgeschwindigkeit von 92 km/h. Damit ist das Fahrzeug sogar geringfügig schneller als der Typ 170. Zupass kommt ihm dabei seine für die damalige Zeit günstige Form. Mit einem Luftwiderstandsbeiwert von cW=0,516 liegt er auf dem Niveau eines 230 SL von 1963 mit Hardtop, der auf einen Wert von cW=0,515 kommt, und deutlich unter dem in der Vorkriegszeit weit verbreiteten Mercedes-Benz Typ Stuttgart mit cW=0,662. Selbst ein VW Käfer von 1966, der noch den Vorteil der eingelassenen Scheinwerfer hat, liegt mit cW=0,498 nicht so viel besser, wie es die Differenz von 32 Jahren vermuten lässt.
Der Kraftstofftank mit 30 Liter Volumen befindet sich rechts neben dem Motor. Das zur besseren Achslastverteilung vor der Hinterachse platzierte Dreigang-Getriebe hat als vierte Fahrstufe einen Schnellgang, der dem Trend der damaligen Zeit entsprechend eine Overdrive-Funktion erfüllt. Dieser Schnellgang wird ohne das Treten des Kupplungspedals vorgewählt und durch das Loslassen des Gaspedals geschaltet. Beim anschließenden erneuten Gasgeben rastet der Gang automatisch ein. Hydraulische Vierradbremsen, auch noch nicht Standard dieser Fahrzugklasse in jenen Jahren, sorgen für eine sichere Verzögerung. Der Motor bietet beachtliche Hubraum-Reserven und erlebt in den 1950er Jahren als 1,8-Liter-Motor in den Typen 180 und 170 S-V seinen Höhe- und zugleich Endpunkt.
Der Typ 130 ist als zweitürige Limousine und als zweitürige Cabrio-Limousine lieferbar. Für Behörden-Sonderzwecke werden auch Versionen als offener Tourenwagen und Kübelwagen angeboten. Zudem hat es Pläne gegeben, auch das blanke Fahrgestell für Sonderkarosserien anzubieten, doch für die Umsetzung fehlen Nachweise.
Das komplett aus einem Stück gepresste Dach der Limousine ist für damalige Verhältnisse nicht alltäglich. Die meisten Autodächer jener Zeit bestehen in ihrer großen Mittelfläche aus einer tragenden Holzkonstruktion, die von einem Stoffbezug abgedeckt ist. Für das neue große Pressteil schafft das Unternehmen für das Werk Sindelfingen eigens eine hydraulische Presse mit entsprechenden Gesenken an. Die Bezeichnung Cabrio-Limousine charakterisiert die zweite Fahrzeugvariante sehr exakt: Das Stoff-Faltverdeck öffnet auf Wunsch Dach und hintere Partie, während die Fahrzeug-Seitenwände feststehend sind.
Noch vor dem offiziellen Erscheinungstermin besteht übrigens Übereinstimmung darüber, den Typ 130 nicht als Einzelerscheinung im Modellprogramm zu lassen, sondern zu einer Modellfamilie von Heckmotorfahrzeugen auszubauen. Es wird bereits über ein Modell mit 1,6-Liter-Motor und vier Türen sowie einen Sportwagen nachgedacht.
Das Äußere des neuen Automobils erfordert ein völliges Umdenken bei der eher konservativ geprägten Mercedes-Benz Kundschaft. Denn der Heckmotorwagen benötigt keinen klassischen, vorn angesiedelten Kühler, und bei Daimler-Benz ist man der Versuchung auch nicht erlegen, dem Fahrzeug durch einen Pseudokühler das Aussehen eines traditionell geprägten Frontmotorfahrzeugs zu verleihen. Zwar gibt es entsprechende Versuche und Vorschläge aus dem Hause, doch man entscheidet sich konsequent für eine klare Gestaltung als Heckmotorfahrzeug. Dazu gehört auch ein Mercedes-Stern mit Umrandung, der auf der Fronthaube in die über die Haube laufende Wulst eingebettet ist.
Ein markanter Teil der neuen Fahrzeugoptik sind zudem Einlassgitter In den Seitenflächen unter den hinteren Seitenfenstern für die Luftzufuhr des über der Hinterachse platzierten Wasserkühlers. Die geschwungene Motorhaube prägen drei längs über die Haube verlaufende Entlüftungsschlitze, die aufgrund der darüber angebrachten Abdeckbleche dem Fahrzeug eine markante und unverwechselbare Heckansicht verleihen. Somit präsentiert sich der Typ 130 mit vollkommen eigenständigem Design, das ihn in der damaligen Zeit durchaus avantgardistisch wirken lässt – und was den Markterfolg dieses Fahrzeugs nicht gerade erleichtert.
Der Typ 130 ist, wie man den Produktionsstatistiken des Hauses entnehmen kann, im Gegensatz zu später oft geäußerten Meinungen durchaus erfolgreich. Verzeichnet die Statistik im Jahr der Serienvorbereitung 1933 noch exakt ein Exemplar der zweitürigen Limousine vom Typ 130, entstehen 1934 bereits 2205 Stück, die zu einem Preis von jeweils 3425 RM angeboten werden. 1935 werden 1781 Stück (3680 RM) gefertigt, im Jahr 1936 noch 311 Stück (3200 RM). Zum direkten Vergleich: Vom Typ 170 (W15) enthält die Produktionsstatistik zur viertürigen Limousine für das Jahr 1933 die Zahl von 3130 Stück (4400 RM). 1934 werden 2508 Stück (4150 RM) hergestellt, 1935 insgesamt 3020 Stück (3950 RM), und im Jahr 1936 sind es 497 Stück (3950 RM).
Für den Typ 130 wird ein neuer Zentralrohr-Rahmen konstruiert, der hinten gegabelt ist, um den Motor aufzunehmen. Für einen tiefen Schwerpunkt sind die Querträger zur Aufnahme der Karosserie unterhalb des Zentralrohres angebracht. Die Sitzplätze sind in der am besten gefederten Zone des Wagens zwischen den Achsen angesiedelt. Die Vorderachskonstruktion hat, wie beim Typ 170, Einzelradaufhängung, zwei übereinander liegende Blattfederpakete, die am vorderen Chassisquerträger befestigt sind, und Hebelstoßdämpfer. Die Zweigelenk-Hinterachse hat zwei Spiralfedern.
Sechs Mercedes-Benz 130 nehmen 1934 an der Fernfahrt „2000 Km durch Deutschland“ teil. Drei gelangen ins Ziel und erhalten dafür eine Goldmedaille (mit Sollzeit ins Ziel), eine Silbermedaille (bis 30 Minuten über Sollzeit) und eine Bronzemedaille (bis 60 Minuten über Sollzeit). Eine Goldmedaille erhält, wer die Strecke in der vorgegebenen Sollzeit absolviert, denn die 2000-Kilometer-Fahrt ist kein Straßenrennen, bei dem es um die Bestzeit geht. Die Marke beteiligt sich mit einem großen Aufgebot an der Veranstaltung, an der rund 650 Pkw teilnehmen, zusätzlich zu einem ebenfalls großen Feld von Motorrädern: Neben den kompakten Heckmotorfahrzeugen sind auch die Mercedes-Benz Typen SSK, SS, 500 K, 380, 290, 200, 170 und 150 vertreten.
1935 erhält der neue kleine Mercedes-Benz Verbesserungen vor allem an Karosserie und Innenausstattung. Beispielsweise ein überarbeitetes Armaturenbrett: Zwei große Rundinstrumente mit elfenbeinfarbenen Zifferblättern sind direkt vor dem Fahrer platziert, auf der Beifahrerseite befindet sich ein größerer Handschuhkasten mit Deckel und eingebauter Uhr. Die Vordersitze bekommen eine verbesserte Polsterung und sind jetzt durch eine „Momentanverstellung“ komfortabel verstellbar – die vorherige archaische Lösung durch das Lösen von Schrauben gehört der Vergangenheit an. Die Gummimatten auf dem Fußboden werden durch Teppichmatten ersetzt. Im Vorbau sind unterhalb der A-Säule je eine Lüftungsklappe für den Fußraum eingebaut, von außen erkennbar an je zwei Schlitzen rechts und links oberhalb der vorderen Kotflügel. Um die Fahreigenschaften zu verbessern, sind die Abstimmung von Federn und Stoßdämpfern und der Sturz der Vorderräder geändert. Diskutiert wird außerdem eine indirektere Lenkung, aber es ist unklar, ob sie zum Einsatz gekommen ist. Schon vor Beginn des neuen Modelljahrs hatte man den Typ 130 mit Vigot-Wagenheber ausgerüstet. Zudem ist die vordere Haube modifiziert worden, die ja bei diesem Heckmotorauto den dort befindlichen Kofferraum verschließt: Sie umfasst nun nicht mehr die stehenden Seitenteile, sondern liegt auf. Die Fahrzeuge des Jahres 1935 sind bis auf die komplett schwarzen Varianten weitgehend zweifarbig lackiert, wobei die Kotflügel auf Wunsch in Schwarz oder in der zweiten Wagenfarbe gehalten sind.
Restbestände der ursprünglichen Variante sind als „Modell 34“ zunächst weiterhin lieferbar und noch bis Juli 1935 in der Preisliste enthalten, bei einem um 225 RM reduzierten Preis für Limousine und Cabriolimousine. Das „Modell 35“ ist demgegenüber um 480 RM respektive 500 RM höher positioniert.
Im Oktober 1935 wird beim Typ 130 noch eine technische Änderung wirksam, die die Betätigung des Kraftstoffhahns vom Fahrersitz aus gestattet. Gleichzeitig reduziert sich der Preis des sogenannten „Herbstmodells 1935“, das dieses Merkmal noch nicht hat, um 580 RM respektive 600 RM. Eine nur zwei Monate später durchgeführte Preissenkung des „Wintermodells 1935“ bereitet allerdings schon die Markteinführung des Nachfolgers vor. Im Februar 1936 löst der leistungsstärkere und in vielen Punkten neu konstruierte Typ 170 H den 1,3-Liter-Wagen ab. Als Auslaufmodell ist der Typ 130 noch bis Februar 1937 in der Preisliste zu finden.
An den Typ 130 ist übrigens noch eine weitere Neuerung geknüpft: Mit ihm beginnt die Auslandsfertigung der Daimler-Benz AG. 1935 werden in Dänemark die ersten Heckmotorwagen montiert, um auf die dort stark gestiegene Nachfrage zu reagieren. Die Fahrzeugteile werden komplett aus Deutschland geliefert.
Mercedes-Benz 130 (Baureihe W23)
- Zylinder: 4 (Reihe)
- Hubraum: 1308 cm³
- Leistung: 19 kW bei 3400/min
- Höchstgeschwindigkeit: 92 km/h
- Produktionszeitraum: 1934 bis 1936
Mercedes-Benz 150 Sport-Limousine (Baureihe W30, 1934)
Max Wagner, Leiter des Konstruktionsbüros, legt im November 1933 in einer technischen Sitzung der Daimler-Benz AG den Vorständen Hans Nibel und Otto Hoppe sowie einigen Direktoren den Vorschlag eines Mittelmotorsportwagens vor. Das Fahrzeug ist speziell für Sportveranstaltungen konzipiert und soll als erstes 1934 bei der Fahrt „2000 Km durch Deutschland“ eingesetzt werden. Das Protokoll vermerkt: „Bei der Besprechung des Heckantriebswagens selbst legte Herr Wagner einen gesamten Entwurf eines Heckantriebs-Sportwagens vor, der, wie allgemein anerkannt, das zukünftige deutsche Sportfahrzeug für die breiten Schichten werden könnte. Es ist ein 2-sitziges Stromlinienfahrzeug, bei dem jedoch der Motor nicht hinter, sondern vor der Hinterachskonstruktion liegt.“
Der vorgelegte Entwurf sieht eine zweisitzige so genannte Sport-Limousine – heute würde man sie als Coupé oder Sport-Coupé bezeichnen – mit einer für die damalige Zeit strömungsgünstigen Form vor. Das fertige Fahrzeug erinnert an die späteren VW Käfer der Nachkriegszeit. Markant im Heckbereich sind die Hutzen in der Dachpartie sowie die zahlreichen Lufteinlässe für die Frischluftversorgung des Motors. Der Mercedes-Stern steht frei auf der vorderen Haube. Der Clou an dieser Konstruktion gegenüber dem Mercedes-Benz 130 ist die Anwendung des Mittelmotorkonzepts, das bis heute bei Sportwagen und auch in der Formel 1 Anwendung findet. Zur besseren Achslastverteilung ist das Antriebspaket von Motor und Getriebe um 180 Grad gedreht. Der Motor befindet sich vor der Hinterachse, das Getriebe dahinter.
Hier sieht Wagner eine Chance, das von ihm wegweisend schon ein Jahrzehnt zuvor am Benz-Tropfenrennwagen umgesetzte Konzept des Mittelmotorwagens auch bei Daimler-Benz einzuführen. Ferdinand Porsche, der diese Pläne ja aus seiner Zeit als Chefingenieur bei der Daimler-Motoren-Gesellschaft und der Daimler-Benz AG kennt, ist ungefähr zur gleichen Zeit dabei, eben dieses Konzept in die Tat umzusetzen, unter anderem an seiner Konstruktion des Auto Union P-Rennwagens.
Eine weitgehende Neukonstruktion ist der Vierzylinder-Reihenmotor. Er hat einen Hubraum von 1,5 Litern, entsprechend dem Sportgesetz für die avisierte Teilnahmeklasse, einen Doppelvergaser und eine oben liegenden Nockenwelle, die durch Stirnräder angetrieben wird. Diese Bauform ist im Rennmotorenbau bei Daimler-Benz damals durchaus Stand der Dinge. Im Gebrauchsfahrzeug dominieren hingegen Motoren mit unten liegenden Nockenwellen und Steigstromvergasern, eine nicht gerade leistungs- und verbrauchsfördernde Konstruktion, die sich allerdings durch Laufruhe und Zuverlässigkeit auszeichnet.
Die Summe der Maßnahmen holt aus dem Vierzylinderaggregat eine Leistung von 40 kW – für einen 1,5-Liter-Motor ein beachtlicher Wert, der Zugleich den Fortschritt im Motorenbau markiert. Zum Vergleich: Der Vierzylindermotor des Typ 130 bietet 19 kW, die Sechszylindertypen 170 und 200 liegen bei 24 kW und 29 kW. Auf der Antriebsseite sind für den Typ 150 zwei Antriebsachsübersetzungen und unterschiedliche Getriebeübersetzungen der Gänge 3 und 4 vorgesehen. Mit der längsten Übersetzung wird eine Höchstgeschwindigkeit von 131 km/h errechnet. Gegenüber dem Typ 130 ist der Radstand um 100 Millimeter verlängert und die vordere Spurweite um 30 Millimeter verbreitert. Dieser Sportmotor kommt im Übrigen auch in einigen Geländesportwagen der 1930er Jahre vom Typ 150 zum Einsatz, dort allerdings in Frontposition.
Vom Typ 150 als Sport-Limousine werden für den Einsatz bei der 2000-Kilometer-Fahrt, die vom 21. bis 27. Juni 1934 stattfindet, sechs Stück gebaut und eingesetzt. Bei ihrem Debüt sind sie eine Sensation. Daimler-Benz schickt neben den Fahrzeugen vom Typ 150 unter anderem auch noch ein Mercedes-Benz 500 K Stromliniencoupé, ein Vorläufer des späteren „Autobahnkurier“, auf die „2000 Km durch Deutschland“. Die Stromlinien-Karosserieform reflektiert die Zeitumstände: Die Massenmotorisierung schreitet in den 1920er und vor allem in den 1930er Jahren voran. Autobahnen werden gebaut, das Auto gewinnt somit in seiner Rolle als Fernreisemittel an Bedeutung. Dass Geschwindigkeit hier begleitend zum Prinzip erhoben wird, ist verständlich – die Stromlinienkarosserien sorgen nicht nur aufgrund der besseren Aerodynamik für ein höheres Tempo, sie spiegeln es auch wider und verkörpern zugleich Modernität.
Zwei der sechs eingesetzten Teams auf Mercedes-Benz 150 scheiden aus. Die anderen vier erhalten Goldmedaillen, eins davon mit dem späteren Rennfahrer Hermann Lang am Volant. Zugleich ist sie der größte Einsatz des Mercedes-Benz 150.Sein bedeutendster Erfolg aber kommt kurze Zeit später und ist aber relativ unbekannt: Bei der Fernfahrt Lüttich – Rom – Lüttich Ende August 1934 erringt Hans-Joachim Bernet den Sonderpreis für den bestplatzierten geschlossenen Wagen, nachdem er das Gesamtfeld zwischen Rom und Pisa angeführt und das Ziel ohne Strafpunkte erreicht hatte.
Der Verbleib der sechs Sport-Limousinen ist unbekannt.
Mercedes-Benz 150 Sport-Limousine (Baureihe W30)
- Zylinder: 4 (Reihe)
- Hubraum: 1498 cm³
- Leistung: 40 kW bei 4600/min
- Höchstgeschwindigkeit: 131 km/h
- Produktionszeitraum: 1934
Mercedes-Benz 150 Sport-Roadster (Baureihe W30, 1934 bis 1936)
Nach dem Erfolg bei der 2000-Kilometer-Fahrt im Jahr 1934 beschließt der Daimler-Benz Vorstand im November 1934, für die IAMA in Berlin 1935 auf Basis des Mercedes-Benz 150 zwei Sport-Roadster fertigstellen zu lassen. Davon soll ein Fahrzeug auf dem Messestand präsentiert werden und das weitere für Probefahrten zur Verfügung stehen. Die Serienlieferung ist für den Monat Mai vorgesehen.
Ebenso wie Wilhelm Haspel als Leiter des Werks Sindelfingen nimmt Fritz Nallinger als Versuchschef im Januar 1935 zum neuen Sport-Roadster Stellung. Dabei wird als Besonderheit auf die Pressluftkühlung, die später auch beim Typ 170 H zum Einsatz kommt, die beiden seitlich hinter den Türen angebrachten Reserveräder und den in der Mitte der Front eingebauten Fernscheinwerfer hingewiesen.
Das Karosseriedesign des Sport-Roadsters unterscheidet sich grundlegend von dem der Sport-Limousine. Es ist vollkommen neu gezeichnet und hat einige typische Merkmale damaliger offener Sportfahrzeuge, beispielsweise die gepfeilte, geteilte Frontscheibe und die beiden frei stehenden Ersatzräder, die allerdings vor den hinteren Kotflügeln angebracht sind. Markant ist zudem das spitz zulaufende Boots-Heck mit zwei Nummernschildtafeln. Der Mercedes-Stern an der Frontpartie steht frei. Ein Verkaufsprospekt preist das Fahrzeug als „rassigen Sportwagen“ an und hebt die Eigenschaften des Sportmotors sowie das vorzügliche Leistungsgewicht heraus. „Ein PS ist mit nur 19 kg belastet! Hier liegt die Erklärung dafür, dass der Typ 150 in allen Übersetzungen einen Anzug hat, der dem eines Kompressorwagens kaum nachsteht.“
Im technischen Aufbau inklusive Motor ist er mit der Sport-Limousine identisch. Die Pressluftkühlung ermöglicht die Verwendung eines kleineren Kühlers, da ein vom Motor angetriebenes und gekapseltes Gebläse die Kühlluft durch den Kühler presst. Der kleine rechteckige Kühler sitzt hinter dem Motor über der Hinterachse. Hinter den Sitzen können sowohl das leichte, aufknöpfbare Verdeck als auch kleine Gepäckstücke untergebracht werden. Unter der vorderen Haube ist Raum für einen großen Koffer und den Kraftstofftank. Angeboten wird der Typ 150 auf der IAMA 1935 für 6600 RM.
Der [intlink id=“1289″ type=“post“]Mercedes-Benz 150 Sport-Roadster[/intlink] bleibt bis 1936 im offiziellen Verkaufsprogramm, doch wird er nur in äußerst kleiner Menge gebaut. Über die produzierten Stückzahlen liegen unterschiedliche Angaben vor. Eine Produktionsstatistik weist 20 Exemplare aus. Die Statistik der in Sindelfingen produzierten Karosserien gibt lediglich fünf gebaute Exemplare an – eine im Jahr 1934, vier im Jahr 1935. In den Kommissionsbüchern lassen sich dagegen nur zwei ausgelieferte Exemplare nachweisen. In jedem Fall ist der Typ 150 nicht nur eines der seltensten, sondern auch in seiner Zeit eins der technisch innovativsten Automobile der Marke Mercedes-Benz.
Ein Roadster aus dem Jahr 1936 befindet sich im Besitz der Daimler AG. Er ist Anfang der 1950er Jahre aus zweiter Hand mit einer Laufleistung von 44 500 Kilometern auf Vermittlung des ehemaligen Vorstandsmitglieds Jakob Werlin erworben worden. Er scheint das bis heute einzige noch überlebende Fahrzeug dieser sehr fortschrittlichen Typenreihe zu sein.
Mercedes-Benz 150 Sport-Roadster (Baureihe W30)
- Zylinder: 4 (Reihe)
- Hubraum: 1498 cm³
- Leistung: 40 kW bei 4600/min
- Höchstgeschwindigkeit: 125 km/h
- Produktionszeitraum: 1934 bis 1936
Mercedes-Benz 170 H (Baureihe W28, 1936 bis 1939)
Schon Mitte 1933 wird neben dem Mercedes-Benz 130 eine hubraumstärkere Variante mit 1,5 bis 1,6 Litern in Erwägung gezogen. Sie wird ein halbes Jahr später zur Gewissheit, als man sich entschließt, dem 1,3-Liter-Wagen bald eine 1,6-Liter-Serie folgen zu lassen. Im Februar 1936 debütiert dann auf der Internationalen Automobil- und Motorrad-Ausstellung in Berlin der Mercedes-Benz 170 H (W 28), der den Typ 130 ablöst, zusammen mit dem Parallelmodell Typ 170 V (W136). Offiziell wird nun das „H“ für „Heckmotor“ in der Typenbezeichnung verwendet; dieses Unterscheidungsmerkmal ist erforderlich zur Abgrenzung des Heckmotorwagens vom hubraumgleichen Typ 170 V mit vorn eingebautem Motor. Der grundsätzlich zweitürige Typ 170 H ist wie sein Vorgänger als Limousine und Cabrio-Limousine lieferbar. Ein offener Tourenwagen wird nicht angeboten.
Klärend vorangestellt sei ein Sachverhalt, der für diese beiden 170er gilt. Auslöser ist die Tatsache, dass die beiden Baureihen bis kurz vor ihrer Vorstellung noch als 1,6-Liter-Wagen entwickelt worden sind und erst kurz vor Serienanlauf noch eine Hubraumerhöhung erhalten haben. So werden noch im März 1935 anlässlich einer Besprechung des Vorstands und zuständiger Direktoren über das Typenprogramm und die Fahrzeug-Dispositionen für die Ausstellungen in London und Paris 1935 sowie in Berlin im März 1936 die Fahrzeuge der Baureihe W136 für Berlin als solche mit 1,6-Liter-Motor bezeichnet. Das führt dazu, dass in den Wagenbüchern zahlreiche Nummerngruppen, für die Fahrgestelle bereits vorsorglich reserviert sind, mit einem roten Stempel „1,6 Ltr.“ versehen sind. Auf diesen Seiten werden dann, nach der kurzfristig erfolgten Hubraumerweiterung von 1598 Kubikzentimeter auf 1697 Kubikzentimeter, die ersten Serien der neuen Fahrzeuge eingetragen, ohne allerdings den bereits vorhandenen Stempelaufdruck zu korrigieren. Beim Typ 170 H betrifft dies die Fahrgestellnummern 118771 bis 118780 und 136776 bis 137775.
Die Hubraumerweiterung, die vor allem einem höheren Drehmoment dient, ist einfach zu erreichen, indem man die Bohrung von 72 Millimeter auf 73,5 Millimeter erweitert, was in einem abgeänderten Arbeitsgang erfolgen kann, und anstelle der Kurbelwelle mit 98 Millimeter Hub eine mit 100 Millimeter Hub einbaut. In den Herstellungskosten schlägt sich das nicht nieder, zumal es mit denselben Rohlingen bewerkstelligt werden kann.
Der Vierzylindermotor des Typ 170 H entwickelt eine Leistung von 28 kW bei 3400/min und bringt das Auto auf eine Höchstgeschwindigkeit von 110 km/h. Hierzu trägt neben der Karosseriegestaltung auch das geringere Fahrzeuggewicht aufgrund des kompakten Antriebsblocks und der nicht benötigten Kardanwelle bei, zugleich verbunden mit geringeren Kraftübertragunsverlusten. Das Fahrzeug hat im Unterschied zum Typ 170 V mit seinem Viergang-Getriebe ein Dreigang-Getriebe mit zuschaltbarem Schnellgang, genau wie der Typ 130, das aber nun als Viergang-Getriebe bezeichnet wird. Das wirkt sich auf die Gangreichweiten im Vergleich mit dem Typ 170 V nicht aus, da die Abstufung der Getriebe- und Achsübersetzungen so abgestimmt ist, dass die Gangreichweiten, trotz unterschiedlicher Getriebekonstruktionen mit denen des Typ 170 V fast identisch sind.
Das weitere technische Konzept des Zentralrohrrahmens mit der hinteren Gabelung zur Aufnahme des Heckmotors entspricht grundsätzlich dem des Typ 130. Die prinzipielle Tendenz zum Übersteuern ist nach wie vor vorhanden, aber durch eine sorgfältige Fahrwerkabstimmung deutlich gemindert. Vom Typ 170 V unterscheidet sich der Typ 170 H nicht nur durch seine avantgardistischer wirkende Karosserie, er bietet auch bessere Fahrleistungen und aufgrund des hinten liegenden Motors ein geringeres Motorgeräusch.
Der Typ 170 H hat gegenüber dem Typ 130 eine deutlich gefälligere Karosserieform, diesmal jedoch mit einem aufgelegten Mercedes-Stern, und zwar ohne Umrandung. Als das Fahrzeug auf der IAMA der Öffentlichkeit vorgestellt wird, ist das Aussehen nach wie vor ein Diskussionsthema. Der Typ 170 H gefällt, übrigens weit mehr als der Typ 130, durch ein rundes in sich harmonisch abgeschlossenes Design, das auch nach Jahrzehnten durchaus noch betrachtenswert und überzeugend ist. Stellt man die Typen 170 V und 170 H nebeneinander, dann wirkt der Frontmotorwagen in heutiger Betrachtung plötzlich wesentlich antiquierter als der immer noch erstaunlich frisch erscheinende Heckmotorwagen. Hier ist dem Karosseriekonstrukteur Walter Häcker ein großer Wurf gelungen, der ohne weiteres neben jedem Nachkriegsfahrzeug mit Heckmotor glänzend bestehen kann. Sehr überzeugend sind auch die verbindenden Stilelemente im Bereich der Fenster, der B-Säule und der Längssicken, die eine Verbindung zu den anderen Limousinenkarosserien schaffen und den Typ 170 H als Mitglied der großen Mercedes-Benz-Familie erkennen lassen.
Obwohl außen kompakter, bietet der Typ 170 H im Innenraum mehr Platz als der 170 V. Die Sicht nach vorn lässt durch den Wegfall der Motorhaube durchaus Anklänge an heutige Fahrzeuge zu. Die Gepäckunterbringung ist gegenüber dem Typ 130 verbessert, aber immer noch kompromissbeladen, denn man muss die Koffer über die Rückenlehne der Fondsitzbank heben, um sie im Kofferraum zu deponieren. Aber das ist beim Frontmotor-Paralleltyp 170 V genauso – der von außen zugängliche Kofferraum wird in dieser Fahrzeugkategorie erst nach dem Zweiten Weltkrieg kommen.
Überzeugen kann der Typ 170 H selbst heutige Fahrer und Mitfahrer immer noch mit seinem beachtlichen Federungs- und Geräuschkomfort sowie einer serienmäßigen Warmluftheizung. Diese Heizung ist ein Nebenprodukt der vom Typ 150 übernommenen Pressluftkühlung. Hier drückt ein vom Motor angetriebenes „Turbogebläse“ Luft durch einen kleinen Wasserkühler. Ein Teil der angesaugten Luft wird sowohl über den gekapselten Auspuffkrümmer als auch über den Schalldämpfer geleitet. Die erhitzte Luft wird dann in den Innenraum geführt. Die Heizung ist regulierbar und kann abgestellt werden.
Schneller als der vielgeliebte Bruder mit dem Frontmotor ist der Typ 170 H auch. Noch schneller geht es mit einer Sonderausführung des Typ 170 H, auf dessen Chassis Karl Schlör bei der Aerodynamischen Versuchsanstalt Göttingen (AVA) im Auftrag des Reichsverkehrsministeriums eine stromlinienförmige Karosserie entwickelt. Sie wird beim Karosseriebauunternehmen Gebr. Ludewig in Essen als Einzelanfertigung gebaut. Dieses Versuchsfahrzeug erzielt auf der Autobahn Frankfurt – Darmstadt eine Höchstgeschwindigkeit von 146 km/h. Gemessen wird dieser Wert als Mittelwert von drei Stoppungen. Auf der IAMA 1939 steht dieser Wagen, der als Besonderheit den Fahrersitz in der Mitte hat, Interessenten aus der Industrie zu Probefahrten zur Verfügung.
Auch der Typ 170 H bekommt eine Modellpflege: Von 1938 an sind doppelt wirkende Stoßdämpfer montiert, und die Armaturentafel enthält jetzt zusätzlich je ein Rundinstrument für die Wasser- und Öltemperatur. Doch der Typ 170 H kann sich gegenüber dem Typ 170 V nicht durchsetzen. Dafür gibt es mehrere Gründe. So gibt es den Typ 170 V beispielsweise in deutlich mehr Karosserievarianten, der Kunde hat somit eine größere Auswahl. Ein weiterer Umstand, der den Erfolg des Typ 170 H nicht fördert, ist der um 600 RM höhere Preis gegenüber dem Typ 170 V (4350 zu 3750 RM). Und das, obwohl der Typ 170 H sogar 50 Kilogramm leichter ist als der Typ 170 V. Zwischen 1935 und 1939 werden vom Typ 170 H gerade mal 1507 Fahrzeuge gebaut, vom Frontmotortyp 170 V laufen 67.579 Fahrzeuge vom Band, einschließlich der Kübelwagen für den militärischen Einsatz.
Während des Zweiten Weltkriegs ist der Typ 170 H ein begehrtes Fahrzeug, so man sich eines leisten kann und Treibstoffzuteilungen erhält, weil er nicht von der Wehrmacht beschlagnahmt wird. Denn Wagen mit Heckmotor hält die Armee für ihre Zwecke für ungeeignet – das freilich noch, bevor der Kübelwagen auf Volkswagen-Basis seine Kriegskarriere in Afrika und Russland startet. Doch dieser Umstand sorgt auch dafür, dass vom Typ 170 H zunächst eine vergleichsweise große Zahl den Zweiten Weltkrieg überlebt hat und er eins der wenigen Fahrzeuge ist, die für den Zivilverkehr zur Verfügung stehen. Genützt hat es ihm nichts, denn als modernere Konzepte sich endgültig durchsetzen, landen zahlreiche Heckmotorwagen in der Schrottpresse – nur wenige dieser besonderen Fahrzeuge von Mercedes-Benz haben überlebt.
Mercedes-Benz 170 H (Baureihe W28)
- Zylinder: 4 (Reihe)
- Hubraum: 1697 cm³
- Leistung: 28 kW bei 3400/min
- Höchstgeschwindigkeit: 110 km/h
- Produktionszeitraum: 1936 bis 1939
(Quelle: Daimler AG)
Geschrieben von Oliver Hartwich
Erschienen am Donnerstag, den 18. März 2010 um 16:29 Uhr | 16.883 Besuche
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